Der Eiger hat in der Geschichte des europäischen Bergsteigens immer eine besondere Rolle gespielt. Der Ruhm seiner Nordwand hat eingeschüchtert und gleichzeitig Generationen von Kletterern angezogen, darunter auch uns.
Wir haben mehrere Jahre davon geträumt, einen Weg an dieser Wand zu klettern, aber aus irgendeinem Grund hatten wir nie die Initiative ergriffen. Routen wie „Paciencia“, „La vida es silbar“ oder „Odyssee“ faszinierten uns immer wieder, sodass wir uns diesen Sommer entschlossen haben, sie auszuprobieren… oder zumindest eine davon.
Das Wetter erwies sich bald als das Haupthindernis. Die sengende Hitze war ein Vorteil für unser Vorhaben, aberr die häufigen Stürme luden gerade nicht dazu ein, mehre Tage in der Wand zu bleiben.
Der Wunsch zu klettern ergriff jedoch die Oberhand und so machten wir uns Mitte August auf den Weg nach Grindelwald. Um das Wetterproblem zu umgehen, entschieden wir uns, einige Tagesrouten zu besteigen und ein paar Tage am Fuß des Gletschers zu biwakieren. Unser erster Anstieg an der Mauer war "Deep Blue Sea", eine der bekanntesten und kürzesten Routen am Eiger. Wir waren sofort beeindruckt von der Qualität des Felsens, der den edleren Kalksteinmauern um nichts nachsteht. Für unsere zweite Route haben wir uns „Magic Mushroom“ ausgesucht, viel länger und anspruchsvoller als die vorherige, aber immer noch an einem Tag möglich. Dank etwas Wetterglück haben wir es geschafft, beide Routen frei zu klettern, ein toller Start und eine gute Motivation, etwas Längeres und Anspruchsvolleres anzugehen.
Nachdem wir diese Routen wiederholt hatten, richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Tschechen-Pfeiler, den wahrscheinlich überhängenden und kompaktesten Wandabschnitt in der Nordwand, wo sich die berühmten Routen "Paciencia" und "La vida es silbar" befinden. Unser Ziel war jedoch nicht die letztere Route, sondern die jüngste Tour in dieser Wandzone “Odyssee“. Die Route wurde von Roger Schäli, Robert Jasper und Simon Gietl 2009 begonnen und sechs Jahre später von ihnen im „Team- Rotpunkt –Style“ geklettert (mehr dazu). Sie gilt als die derzeit schwierigste Route an der Wand, ist sehr anspruchsvoll abgesichert und wartet noch immer auf eine durchgehende freie Begehung.
Angesichts dieser Schwierigkeiten veranschlagten wir, etwa vier Tage in der Wand zu verbringen, um genügend Zeit für uns beide zu haben, die Seillängen rotpunkt zu klettern. Die große Unbekannte war aber das Wetter. Wir entschieden uns, die Wettervorhersagen nicht zu bis ins letzte Detail zu checken und machten uns auf den Weg in die Wand.
Wir verbrachten genau 4 Tage und Nächte in der Wand und wurden dabei von mehreren Stürmen überrascht. Zum Glück ist die rechte Seite des Eigers sehr überhängend und wir hatten ein einziges Portaledge, in dem wir uns vor dem Regen schützen konnten. Um Gewicht zu reduzieren, hatten wir auf ein zweites Portaledge verzichtet, zweifellos leichter, aber auch viel unbequemer ... ehrlich gesagt, haben wir während unseres "Aufenthaltes" an der Wand nicht wirklich viel geschlafen!
Am ersten Tag kletterten wir die anspruchsvollen längen und beendeten den Tag mit der Crux der Route, einem kurzen 8a+ Boulder in der 10 Länge. Der zweite Tag war definitiv der intensivste; viele Seillängen bis zu 7c waren völlig nass und wir haben hart darum gekämpft, sie rotpunkt zu klettern. Dann wurde noch unser Biwak überflutet, was unseren Aufenthalt in der Wand noch merklich unangenehmer machte. Aber wir waren noch gut unterwegs und wollten nicht aufgeben. Am dritten Tag erreichten wir dann die letzte schwierige Seillänge der Route, eine 8a in der 29. Seillänge, die sich rund hundert Meter unter dem Ausstieg befand, wo wir zum letzten Mal biwakierten. Am nächsten Tag kletterten wir aufgeschreckt von der bevorstehenden Schlechtwetterfront schnell die letzten, einfacheren, aber immer noch ernsten Seillängen, bevor der lange Abseilabstieg begann. Die Vorhersagen erwiesen sich als richtig und ein starker Sturm überraschte uns am letzten Abseiler. Wir kamen nass und erschöpft am Auto an, waren aber gleichzeitig sehr glücklich, diese spektakuläre Route frei befahren zu haben.
Text: Babara Zanger und Jacopo Larcher / La Sportiva
Barbara Zangerl wurde 1988 in Bludenz geboren und begann mit dem Bouldern. 2008 kletterte sie mit „Pura Vida“ im schweizerischen Averstal als erste Frau einen 8B-Boulder. Verletzungsbedingt konzentrierte sie sich vermehrt aufs Sportklettern, wo ihr u.a. die Routen „Chikane“ in Siurana eine 8c+ (XI-/XI und „Speed intégrale“ 9a (XI) in Voralpsee gelangen. Im MSL Bereicht gelangen ihr „Hotel Supramonte“ (11 SL, X) auf Sardinien und „Delicatessen“ (5 SL, X) auf Korsika die erste Frauenbegehung von der Alpen Trilogie „End of Silence“ (8b, 11 SL), „Silbergeier“ (6 SL) und „Des Kaisers neue Kleider“ (8b+, 8 SL). Mit der Wiederholung von Beat Kammerlanders „Prinzip Hoffnung“ (X/X+ R) an der Bürser Platte setzte sie auch im Trad Klettern ein Zeichen. Zu ihren Highlights der letzten Jahre zählen freie Begehungen der El-Cap-Routen „El Niño“ (30 SL, X-), „Zodiac“ (21 SL, X) und „Magic Mushroom“ (31 SL, X+, 1. Wiederholung), die „Bellavista“ (10 SL, X+/XI-) in der Nordwand der Westlichen Zinne sowie die zweite Wiederholung der „Unendlichen Geschichte“ (12 SL, X+) im Rätikon. Mit dem „Gondo Crack“ gelang ihr 2017 mit Jacopo Larcher die Erstbegehung einer Trad-Route im Grad 8c/ E10 (X+/XI- R und im August 2018 die „Odyssee“ (33 SL, X-) an der Eiger-Nordwand ( 1. Wiederholung).
Jacopo Larcher wurde 1989 in Südtirol geboren und startete seine Kletterkarriere in der Halle. Er wurde rasch italienischer Jugendmeister und Bouldermeister. Bald begann er aber die Komfortzone der Kletterhallen zu verlassen und widmete sich dem Sportklettern wo ihm 2012 mit "Southern Smoke Direct" in Red River Gorge (USA) seine erste 9a (XI) gelang. Ein Jahr danach die ersten Mehrseillängen Routen wie „„Des Kaisers neue Kleider“ (8b+, 8 SL) im Wilden Kaiser und die Erstbegehung von "Zembrocal" (8c+/ 150m auf La Reunion und ein Jahr später mit „Prinzip Hoffnung“ (X/X+ R) seine erste schwere Trad-Route. Es folgten weitere viele schwere Trad-Routen wie z.B. „Rhapsody" - E11 7a (XI-/XI) am Dumbarton Rock (UK), "La Rambla" - 9a+ (XI/XI+) in Siurana (Spanien), die freie Begehung von Zodiac (5.13d oder X) am El Cap, "Sangre de toro" – 250m/8b+ (X+) an der Rote Wand und zuletzt eben auch die Odyssee am Eiger.