Unterschiedlich alte Kletterseile (c) Walter Siebert
10 Dezember 2019

Lebensdauer von Kletterseilen

Wann muss ich mein Kletterseil tauschen? - Herstellerangaben versus Tests zur Haltbarkeit von Kletterseilen

Das Seil bildet neben dem Gurt den zentralen Ausrüstungsgegenstand beim Bergsteigen und Klettern. Beides wird im Fachjargon “Persönlichen Schutzausrüstung (PSA)“ genannt, auf die wir uns 100%ig verlassen. Kletterseile unterliegen deshalb bei der Herstellung strengen Normen und werden auch entsprechend getestet.

Aus Hanf wurde Polyamid

Bis in die 1950er Jahre (und vereinzelt sogar noch in den 60ern) kletterte man noch mit Hanfseilen. Seilrisse waren nicht selten und führten zu zahlreichen tödlichen Unfällen. Dann kam das Kernmantelseil aus Polyamid auf den Markt, das für eine Revolution bei der Sicherheit und Lebensdauer sorgte.

Polyamid (Kunststoff oder Plastik) bringt aber auch einige bedenkliche Nachteile mit sich. Besonders kritisch ist die Herstellung aus Erdöl und es kann sich außerdem negativ auf unsere Gesundheit auswirken, dagegen hilft auch kein Bluesign Zertifikat oder “Deutsche Qualität made in Vietnam“. Wenn wir Klettersteile ausmustern, verursachen wir schlichtweg Plastikmüll – ein Problem, das uns alle angeht. Deshalb ist es heute besonders wichtig, einen genaueren Blick auf die Lebensdauer dieser Ausrüstungsgegenstände zu werfen.

Wie lange hält ein Kletterseil

Auf den von der Industrie produzierten Beipackzetteln und Seilfibeln wird von einer maximalen Lebensdauer ohne Benutzung und bei optimaler Lagerung von 10 bis 12 Jahren gesprochen. Diese reduziert sich bei gelegentlicher Benutzung und guter Lagerung auf drei bis sechs Jahre. Bei wöchentlicher Verwendung findet man im Web ganz häufig nur bis zu einem Jahr. Stimmt das und wie lange hält ein Seil nun wirklich?

Der Wiener Walter Siebert, beschäftigt sich seit Jahrzenten mit dieser Frage und ist in seinem professionellen Labor den Einflüssen auf die Lebensdauer von Kletterseilen auf den Grund gegangen. Für Walter Siebert ist das Alter alleine kein Kriterium für das Ausscheiden eines Kletterseils. „Ich habe mehr als 100  äußerlich unbeschädigte Seile unterschiedlichen Alters auf ihre Festigkeit hin getestet und konnte keine Relation zwischen Alter und Festigkeit feststellen. Auch 50 Jahre alte Seile haben genauso viel gehalten, wie drei Monate alte Hallenseile!“

Ein Seil muss jedoch abgelegt (ausgeschieden) werden, wenn es

  • Mit Batteriesäure in Kontakt kommt,
  • eine Mantelbeschädigung bis zum Kern aufweist,
  • eine ertastbare Beschädigung des Kerns auftritt,
  • eine Schmelzbeschädigung durch Hitze von mehr als 100 Grad bzw. eine Schmelzspur bis auf den Kern hat und
  • bei Sturzbelastung NUR, wenn der Mantel bis zum Kern bzw. der Kern ohne Mantelschaden beschädigt ist.

„Das Alter ist kein Ablegekriterium, es kommt alleine auf die Beschädigung des Seiles durch äußere Einflüsse an“ meint Siebert. „Eine Einschränkung gibt es jedoch bei permanent installierten Topropeseilen, die wir vor allen in Kletterhallen finden. Sie sollte man nur zum Topropen verwenden und den Kern auf Beschädigung prüfen.“

Moderne Polyester Seil Produktion (c) Andreas Jentzsch
Unterschiedlich alte Kletterseile (c) Walter Siebert
Seil mit Mantelschaden bis zum Kern = Ablegen bzw. Ausscheiden (c) Walter Siebert
Ein stark beschädigter Mantel (c) Walter Siebert
Seile – statische Festigkeit im Bulinknoten (c) Walter Siebert
Topropeseile herausgefiltert (c) Walter Siebert
Bruchlast nach Anzahl Zyklen (c) Walter Siebert
Ablegekriterien von Kernmantelseilen aus Polyamid (c) Walter Siebert
Walter Siebert vor seiner Zerreismaschine (c) Andreas Jentzsch

Was ist das Problem bei Topropeseilen?

Wenn man viele tausende Male ein Seil über einen Karabiner walkt, wird der Kern geschädigt. Die Schwächung ist von außen nicht sichtbar und kann so schwer sein, dass unter bestimmten Bedingungen das Seil versagen kann.“ erklärt Walter Siebert. „Auf deine Frage zurückzukommen: Bevor ein Seil zum Topropen zu gefährlich wird, ist es für unsere Sicherungsgeräte nicht mehr brauchbar. Also keine Angst beim Topropen. Allerdings soll man Toporopseile nach dem Ausmustern durch die Hallen für keine extremen Zwecke verwenden, zum Beispiel für Seilbrückenbau oder statische Faktor 2 Stürze.“

Hat die Häufigkeit der Verwendung Einfluss auf die Lebensdauer von Kletterseilen?

Laut der aktuellen Meinung soll man ein Seil, das man wöchentlich verwendet (d.h. 1 x pro Woche), bereits nach einem Jahr tauschen. „Dafür konnte ich keine Gründe finden, solange das Seil äußerlich intakt ist und auch nicht mit Säure in Berührung kam. In erster Linie ist die Lagerung wichtig: Es darf nicht mit Chemikalien in Berührung kommen, insbesondere Schwefelsäure“, meint Walter Siebert, „Wichtig ist, das Seil beim Klettern und beim Abseilen bewusst zu beobachten. Unregelmäßigkeiten sollte man dann überprüfen. Wenn man das Seil durch die Hand gleiten lässt, spürt man, ob der Kern ernsthaft beschädigt ist. Wie oft? Auf jeden Fall nach schweren Stürzen, komplexen Seilmanövern, starken Belastungen, also wenn man große Schwierigkeiten hat, den Knoten zu öffnen.“


Bei welchen Beschädigungen muss das Seil getauscht werden?

  • Kontakt mit Batteriesäure
  • Wenn der Kern aus dem Mantel heraustritt.
  • Wenn der Mantel so beschädigt ist, dass der Kern sichtbar ist.
  • Wenn der Kern gebrochen ist.Wenn der Kern ertastbar geschädigt ist (auch ohne Mantelschaden) Der Kern ist an dieser Stelle deutlich dünner.

„Das ein Seil in Kontakt mit Batteriesäure war, ist äußerlich leider nicht zu erkennen. Die anderen Schäden kann ich jedoch gut überprüfen.“

Muss ich ein Seil nach einem schweren Sturz ausscheiden?

„Solange der Mantel intakt ist und auch der Kern…, nein. Beides kann man durch die Sicht- und Tast-Prüfung gut prüfen.“

Welchen Einfluss haben UV-Strahlung und Witterung auf Seile?

„Wenn ich ein Seil normal draußen zum Klettern verwende, gilt das oben gesagte. Selbst Seile die monatelang draußen hingen, haben in meinen Tests noch gut gehalten,“ meint Siebert, „denn der Mantel schützt - anders als bei Bandschlingen - den Kern. Vor Bandschlingen an Ständen und in Sanduhren sollte man sich wirklich in Acht nehmen, doch das ist ein anderes Thema.“ 

Gibt es bekannte Unfälle bei denen äußerlich intakte Seile gerissen sind?

„Trotz intensiver weltweiter Suche konnte ich „den Seilriss“ in normaler Nutzung nicht finden, es gibt nur dokumentierte Unfälle bei Rissen an Scharfkanten bzw. durch Steinschlag, Risse bei Schädigung durch Batteriesäure und Risse durch Durchschmelzen, wenn z.B. Seil über Seil läuft.“

An wen soll ich mich wenden, wenn ich mir bei einer Beschädigung unsicher bin?

„Gute Frage, ich fürchte, es gibt nur sehr wenige Institute, die unabhängig sind. Ich habe aus diesem Grund mein Labor gegründet und „Nachhaltige Sicherheitsforschung“ genannt. Vielleicht auch die DAV Sicherheitsforschung. Die meisten Labore beziehen sich aus Sicherheitsgründen auf das Manual und dessen Vorgaben, auch wenn diese nicht wissenschaftlich haltbar sind. Sollte jemand der Leser ein Institut kennen, das ebenfalls die zeitliche Ablegereife relativiert, freue ich mich über Hinweise und Austausch.“

Fazit: Ein unbeschädigtes Kletterseil hält bei schonendem Gebrauch wesentlich länger als derzeit angenommen. Die von den Seilherstellern gemachten Angaben zur Lebensdauer decken sich nicht mit den von Walter Siebert gemachten Tests. Gerade in einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Müllvermeidung an Bedeutung gewinnen, sollte man den zu raschen Austausch von Kletterseilen kritisch hinterfragen.

Hier ist der Link zur wissenschaftlichen Untersuchung der Ablegekriterien:http://www.siebert.at/de/publikationen/66/Masterarbeit-zur-Ablegereife-von-PSA



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