Um abgelegene Ortschaften und Bauernhöfe versorgen zu können, wurden schon sehr früh „Klettersteige“ angelegt. Meist wurden kurze Felspassagen mit Leitern und Seilen gangbar gemacht, um Güter des täglichen Bedarfs transportieren zu können. Die 1492 durchgeführte Erstbesteigung des Mont Aiguille (Frankreich), die als Geburtsstunde des Alpinismus gilt, erfolgte ebenfalls mit Hilfe von hölzernen Leitern.
Erster „echte“ Klettersteig am Dachstein
Friedrich Simony, bekannt auch als der „Dachstein-Professor“, wanderte 1840 von Wien, über das Salzkammergut auf den Hohen Gjaidstein und blicket erstaunt auf den Hallstätter Gletscher und den Hohen Dachstein. Überwältigt von der „Vielheit der naturwissenschaftlichen Objekte in einer einheitlichen geographischen Landschaft“ ließ der Dachstein den angehenden Geographen nicht mehr los. Am 8. September 1842 bestieg er erstmals den Gipfel des Dachsteins. An den Felsen war es für Simony ein „recht abscheuliches Klettern“. Kurzerhand verfasste Simony ein Bittschreiben: „Möchte sich doch ein begüterter Freund der Alpennatur finden, und zur Gangbarmachung eine kleine Summe opfern.“ Mit diesem Brief begab er bei seinen Gönnern und den hochvermögenden Kurgästen von Bad Ischl auf eine Sammel-Tour. Mit 260 Gulden werkte sein Leibführer Wallner Eisenzapfen, Handhaken, eingemeißelte Tritte und ein 80 Klafter langes, dickes Schiffstau als Steighilfen. Am 27. August 1843 war er fertig, der erste Klettersteig. Am 16. September 1843 erklomm Friedrich Simony zum 1. Mal den Dachstein über den neuen Dachstein-Klettersteig und übernachtete am Gipfel.
Gut 25 Jahre später ging es Schlag auf Schlag: 1869 folgte eine klettersteigähnliche Seilsicherung am Großglockner und bereits 1873 der erste Klettersteig auf die Zugspitze. 1878 wurde ein weiterer Klettersteig am Dachstein errichtet. 1894 folgte der noch heute äußerst beliebte Teufelsbadstubensteig auf die Rax und 1899 die Versicherungen am Jubiläumsgrat im Zugspitzmassiv. 1906 wurde der Königschusswandsteig und 1913 der Haidsteig auf die Rax errichtet. Der Königschusswandsteig wies vor seiner Sanierung und Erweiterung den Schwierigkeitsgrad „E“ auf, der bis kurz nach der Jahrtausendwende den höchsten Schwierigkeitsgrad darstellte.
Erster Weltkrieg
Österreich-Ungarn kämpfte im Ersten Weltkrieg gegen Italien. Oft waren die Schauplätze für die kriegerischen Auseinandersetzungen schwer zugängliche Gebirgsregionen. Die zahlreich errichteten Versorgungssteige waren oft in den Fels gesprengt und mit Eisensicherungen versehen. Daher auch der Name „Via ferrata“, was Eisenweg bedeutet. Viele der damals errichteten Kriegssteige sind heute noch erhalten und oft zu richtigen Klettersteigen ausgebaut.
Klettersteigboom
Ab den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeichnete sich ein beginnender Klettersteigboom ab. Alte Steiganlagen wurden saniert und neue errichtet. Die Klettersteige wurden meist mit dem Aspekt errichtet, „normalen“ Bergsteigern neue Herausforderungen zu bieten und Gipfel bzw. Wände zu erschießen, die sie sonst nicht erreichen könnten. Viele dieser Steiganlagen führen in anspruchsvoller Linienführung durch beeindruckende Landschaften. Verglichen mit dem aktuellen Boom waren diese ersten Zuwächse nur ein kleines Aufflackern des beginnenden Interesses am Klettersteigsport. Im Ländervergleich liegt Österreich mit rund 450 Klettersteigen an absoluter Spitzenposition, gefolgt von Italien, Deutschland und der Schweiz mit jeweils um die 100 Klettersteige.
Spaß-, Schlucht- und Sportklettersteige
Etwa seit dem Jahrtausendwechsel reicht vielen Begehren und somit auch Erbauern ein „normaler“ Klettersteig nicht mehr. Das Erklimmen des Berges an sich geriet zunehmend in den Hintergrund. Was nun zählt sind der Spaß auf diversen Attraktionen und auch die Sicherheit. Zu diesem Zweck enthalten viele neue Klettersteige spektakuläre Seilbrücken (oft in engen Schluchten), herausfordernde Überhänge und extrem ausgesetzte Passagen, aber auch unterirdische Abschnitte. In den letzten Jahren sind auch vermehrt sogenannte „Klettersteigparks“ entstanden, wo auf kleinem Raum eine Vielzahl an unterschiedlich anspruchsvollen Klettersteigen zu finden ist. Ein hohes Maß an Sicherheit wird durch kurze Sturzbereiche (evtl. zusätzlich mit Sturzdämpfern entschärft) und teilweise auch durch innovative 2-Seil-Systeme erreicht.
Schwer, schwerer, am schwersten
Über viele Jahrzehnte markierte der Schwierigkeitsgrad „E“ das Ende der Fahnenstange. Ein Schwierigkeitsgrad, der für sehr gut trainierte Klettersteiggeher in der Regel zu bewältigen ist. Vor gut zehn Jahren reichten diese Herausforderungen nicht mehr und es mussten noch schwerere Klettersteige her. Einen ersten diesbezüglichen Höhepunkt stellte die Arena-Variante des Bürgeralm-Klettersteigs in der Hochschwabgruppe dar. Hier versicherte man eine extrem überhängende und trittarme, eigentlich aber unspektakuläre Felswand mitten im Wald mit einem recht locker gespannten Stahlseil. Es entstand die erste F-Stelle, die selbst ambitionierte Felskletterer ordentlich ins Schwitzen bringt. Es folgten unzählige weitere ähnlich schwierige Klettersteigstellen, die meist als Varianten von „normalen“ Sportklettersteigen angelegt wurden. Aktueller Schwierigkeits-Höhepunkt ist die Via Ferrata Extraplomix auf Gran Canaria. Bei diesem privat errichteten und nicht wirklich den aktuellen Normen entsprechenden Klettersteig wird der Schwierigkeitsgrad „G“ erreicht. (siehe dazu auch Schwierigkeitsskala Klettersteig!)
Unfälle und Normen
Erfreulich ist, dass trotz des Massenansturms auf die Ferratas die Unfallzahlen und die Anzahl der Todesopfer gering bleiben. Die mit Abstand häufigste “Unfall“-Ursache ist das sogenannte Blockieren, d.h der Klettersteiggeher kommt einfach nicht mehr weiter und lässt sich von der Bergrettung abholen. Die wenigen Todesopfer betreffen häufig ganz erfahrene Kletterer, die sich auf den für sie leichten Steigen nicht richtig sichern und ausrutschen.
Die ständige Weiterentwicklung der Ausrüstung trägt sicher auch zu den niedrigen Unfallzahlen bei. Klettersteigset, Helm, Karabiner und Gurt sind als Persönliche Schutzausrüstung (PSA) genormt und die Norm für Klettersteigsets wurde 2017 überarbeitet und weiter verbessert. Seit Mai 2018 gibt es aber auch eine Norm für den Klettersteigbau selbst. Hier wurden Seilstärken, Abstände etc. erstmals “verbindlich“ niedergeschrieben.
Wie geht es weiter?
Es ist zu erwarten, dass der Boom an neuen Klettersteigen auch in den nächsten Jahren nicht abebben, sondern sich höchstens etwas abschwächen wird. Je mehr Stahlseile unsere Berge überziehen, desto größer wird wohl der Druck von Naturschutzseite her werden. Erste Klettersteige mussten in den letzten Jahren bereits wieder abgebaut (Stevia-Klettersteig in den Dolomiten) bzw. verlegt (Irg-Klettersteig im Dachsteingebirge) werden. Auch wurden in Tirol bereits neue Klettersteigvorhaben mit den Verweis auf die Verkehrsbelastung abgelehnt. Die andauernde Klimaerwärmung zwingt Seilbahnbetreiber und Touristiker aber, Alternativen für das bedrohte Ski-Tourismus-Geschäft zu finden und da bieten sich Klettersteige, bei deinen als Abstieg die Seilbahn benutzt wird geradezu an. Was die Schwierigkeit betrifft, wird der Schwierigkeitsgrad „G“ wohl die absolute Ausnahme bleiben. Teilweise geht der Trend bereits wieder in Richtung leichterer, familientauglicher Klettersteige. Schließlich ist die Errichtung eines normgerechten Klettersteigs teuer und somit muss sich dieser in Form von Seilbahntickets, Hüttenbesuchen usw. rechnen. Beim Boom ist jedenfalls kein Ende in Sicht, da die mit Drahtseilen gut abgesicherte Kombination aus Natur und Nervenkitzel täglich neue Fans bekommt.
Text: Dieter Wissekal, Andreas Jentzsch