Die Jubiläumsfeier steigt Mitte Juli 2020. Bereitschaftsleiter Heinz Pfeffer blickt zurück, sieht das Verhalten mancher Bergsportler kritisch und zieht den Hut vor dem Bergwacht-Nachwuchs.
2020 feiert die Mittenwalder Bergwacht 100. Geburtstag. Von 15. bis 19. Juli lädt sie zur Jubiläumsfeier mit Festzug, Festzelt, Kranzniederlegung, Ausstellung, Kinderprogramm sowie zur Tombola mit Preisen im Wert von über 10.000 Euro. Zum Unterschied von anderen ebenso alten Bereitschaften in Bayern „machen wir 365 Tage im Jahr 24 Stunden Dienst im hochalpinen Gelände. Damit sind wir besonders nah dran am Geschehen“, so Bereitschaftsleiter Heinz Pfeffer (52). Er zieht Bilanz.
Etwa 150 Einsätze pro Jahr – 40 bis 50 davon allein im Winter – leisten die 91 aktiven Mittenwalder Kameraden ehrenamtlich. „Dabei retten wir Menschen, manchmal auch Tiere, aus alpinen Notlagen, immer wieder gemeinsam mit den Kollegen aus Krün oder Tirol. Und wir klären natürlich auf und beraten, damit Notlagen erst gar nicht entstehen“, so Pfeffer. Über die Hälfte der Aktiven ist übrigens unter 35.
Ihr Aufgabenspektrum ist enorm. „Wir betreiben Vorsorge, machen Dienst bei der Skiwacht am Kranzberg, sind Teil der Lawinenkommission im Dammkar, begleiten Sport-Events, gestalten das Kinderprogramm der Alpenwelt Karwendel mit, und üben gemeinsam mit Bergbahnen für Spezialbergungen.“, so Pfeffer. Die größte Herausforderung seien organisierte Lawinenrettungen, die bis zu 100 Mann, Ärzte und Hunde erfordern, oder Schlechtwetter-Einsätze, wenn der Heli nicht fliegen kann. So ein Einsatz kann acht oder sogar mehr Stunden dauern.“Für uns stellt sich dann die Frage nach der Teamstärke. Ziehen wir zu zweit oder mit 15 Mann los? Um das richtig einzuschätzen, brauchst Du viel Erfahrung.“
Die Einsätze, aber auch die Anspruchshaltung der Geretteten haben sich laut Pfeffer massiv verändert: „Vor 50 Jahren mussten die Kollegen acht bis zehnmal ausrücken, wenn im Dammkar die Skirennen stattfanden. Das war körperlich extrem anstrengend, auch aufgrund der schlechten Ausrüstung.“ Skidoo, Heli und weitere Technik hätten zwar nach und nach die Arbeit erleichtert.“ Doch zeitgleich wurden die Sicherheitsbestimmungen – etwa im Bayerischen Rettungsdienstgesetz – anspruchsvoller. Das gelte auch für die meisten Bergsportler: „Bei Alpenvereinsmitgliedern sehe ich oft eine „Vollkasko-Mentalität“. Mir scheint, manche spielen bewusst mit der Gefahr. Sie versäumen die letzte Talfahrt, gehen mit Fahrradhelm oder ganz ohne auf den Mittenwalder Klettersteig oder denken nicht dran, dass es im Herbst früher dunkel wird, und fordern so Einsätze heraus.“
Hohe Ansprüche stelle auch die Ausbildung. Heinz Pfeffer hat großen Respekt davor, was die jungen Leute heute alles leisten: „Der Bergwachtler von Heute muss ein Alleskönner sein. Er sollte körperlich fit sein, sicher klettern, Touren gehen oder Ski fahren, schwere Seile schleppen oder stundenlange Einsätze konditionell durchstehen. Im medizinischen Bereich muss er Verletzungen eingrenzen, Erste Hilfe-Techniken beherrschen, psychischen Druck aushalten; ... Allein der Sanitäter-Kurs umfasst 80 Stunden!“ Hinzu komme Naturschutz, Lawinenkunde oder Bergungstechnik. Nachwuchssorgen kennt Pfeffer trotzdem nicht. In Mittenwalder Familien gehöre es zum guten Ton, die Kinder zur Bergwacht zu schicken. Derzeit bildet Mittenwald 16 Anwärter aus.
Die Anfänge 1920
Wegen „Blumendieben“, die „busweise“ ins Karwendel kamen, aber auch immer mehr Unfällen von Bergtouristen gründeten die Mittenwalder ihre Bergwacht. In der Festschrift zum 75. Jubiläum erinnert sich ein Mitglied: „Was sich seinerzeit auf den Bergalmen alles tat, (…). Die Leute warfen einfach alles weg, was ihnen lästig war, und verschandelten die Natur auf das Erbärmlichste. Sie rissen ganze Büschel Alpenpflanzen aus, um sie schon in der nächsten Stunde wieder wegzuwerfen.“ 1925 stellte die Bergwacht gar einen „üblen Edelweißhamster, ein gutsituierter Herr im Besitze von mehr als 60 Edelweißsternen.“ Dokumentiert sind auch der Bau neuer Diensthütten wie die im Dammkar, oder spektakuläre Bergungen. So wurde 1942 ein Soldat nach „fünf Tagen und Nächten in Fels und Eis“ gerettet. Oder Sepp Biller, Mittenwalds damals bester Bergsteiger, den im September 1955 ein Wintereinbruch in der Laliderer Nordwand überrascht hatte. Feiern, hohen Besuch, Skirennen, Lawinenopfer oder außergewöhnliche Einsätze, etwa die Geburtshilfe bei einer Hüttenwirtin, die Zwillinge zur Welt brachte, enthält die Chronik ebenfalls. Zunächst nutzte die Bergwacht Mittenwald einfachste Mitteln wie Hanfseile, Pickel oder einen Schlitten, der laut Chronist Luis Ostler aus alten Flugzeugteilen zusammengeschweißt wurde. Ihr erstes Geländefahrzeug, das sie liebevoll „Gigl“ nannten erhielten die Mittenwalder Kameraden 1951.
Die Bergwacht Mittenwald zählt 91 Mitglieder, die jüngsten sind 15, der älteste 96 Jahre alt. 500 Vereine, Firmen oder Privatleute aus ganz Deutschland unterstützen die Bergwacht Mittenwald, darunter immer wieder Menschen, denen die Kameraden geholfen haben. Dank Spendern und Sponsoren können Gerätschaften - wie zuletzt den Defibrillator für 6000 EUR – finanziert werden.
Webtipp: Bergwacht Mittenwald