Freerider „en libre“ (c) Stefan Brunner
14 April 2019

Freerider „en libre“

Stefan Brunner verweilte letzten Herbst im Valley und kletterte die Oscar-Tour (1000m, 9+) am El Cap rotpunkt. Hier sein schöner Bericht.

Freerider „en libre“ mit Mike

Bernd gab mir den Tipp Mike zu fragen ob er mit mir den Freerider klettern will beziehungsweise hauptsächlich als Belay Bunny agieren möchte. Ich kenne Mike nur von einem gemütlichen Sportklettertag im Yosemite. Damals waren wir zu dritt. Es war ein gemütlicher Nachmittag unter Bergführerkollegen. Mike ist ebenfalls Bergführer bzw. Rock Guide, bei den Amis ist ja alles etwas anders. Als ich Mike fragte ob er sich für die Idee begeistern kann mich zu sichern und zu unterstützen, war er sofort dabei. Mike stellte die Bedingung selbst ein paar leichtere Seillängen vorsteigen zu dürfen. Das ist für mich kein Problem, ganz im Gegenteil. Durch diese Taktik muss nicht alles ich haulen, denn haulen muss der Vorsteiger um in einem guten Tempo voranzukommen.

Somit ist alles besprochen. Wir haben ein Zeitfenster von vier Tagen. Mike arbeitet in der Kletterhalle in Santa Barbara und hat sich Freitag und Montag freinehmen können. Für die Anreise ins Valley benötigt er sechs Stunden. Mit ein wenig Verspätung trifft Mike am Freitag den 9.11.2018 im El Cap Meadow ein. Es ist bereits November, die Nächte sind sehr lang und kalt, die Tage kurz. Effizienz ist gefragt um an diesen kurzen Tagen unser Vorhaben verwirklichen zu können. Rasch packen wir die Sachen und machen uns auf den Weg zu den Fixseilen, um den Haulbag zum Heart Ledge zu haulen. Anschließend abseilen und das restliche Klettermaterial vom Auto holen und auf zum Free Blast. Ich habe mich entschlossen meine Zustiegsschuhe beim Haulbag zu lassen und darf jetzt barfuss über die spitzen kalten Steine laufen. Kurzzeitig bin ich mir nicht sicher ob dies eine gute Idee war.

Blasting Free

Im Free Blast geht es gut voran. Bis auf einen kurzen unsicheren Moment in der Platte läuft alles wie am Schnürchen. Kurz vor der Dämmerung erreichen wir unseren Haulbag an den Heart Ledges, wo wir die Nacht verbringen.

Mit einem möglichst frühen Start am nächsten Morgen wollen wir uns einen Vorsprung gegenüber den anderen Seilschaften, die ebenfalls in der Route unterwegs sind, erarbeiten. Dies gelingt uns nur bedingt. Wir laufen sofort auf eine andere Seilschaft auf. Am Stand vor der Hollowflake haben wir somit leicht Zeit für Smalltalk mit der anderen Gruppe. Wie es sich herausstellt deutschsprachige Kletterer. Einer definitiv aus der Steiermark, aus Graz, der andere wohnt schon des längeren in Squamish, Kanada. Nach dem Hollowflake downclimb 5.12a, und dem üblichem Geschrubbe im 5.8 Squezze der Hollowflake, befinden wir uns auf einem super Felsband wo uns die Jungs den Vortritt lassen. Problemlos geht es fast in Wechselführung weiter. Mike führt den 5.7 Chimney, ich klettere jede Seillänge die Mike vorsteigt im Nachstieg, natürlich in freier Kletterei.

Der Deal

Unsere Vereinbarung sieht vor, dass ich alle „schwierigen“ Seillängen vorsteigen darf. Das heißt alles ab 5.12 und dazu eine Plattenlänge, den 5.11 Move vom Heart Ledge, Monster Off-width und natürlich den 5.10d Off-width im oberen Teil der Route.

Dawn till Dust

Obwohl wir sehr gut vorankommen holt uns die Dunkelheit auf Höhe des El Cap Spires ein, ein perfekter Biwakplatz. Leider sind hier bereits zwei Kanadier, und Platz für vier Personen ist hier nicht wirklich. Wir klettern weiter. Unser Vorteil, dadurch sind wir morgen sicherlich die ersten am Boulderproblem, wo kühle Temperaturen und Schatten auch im November von Vorteil sind.

Golden Shower

Der Wecker ist gestellt auf 5 Uhr morgens, lange vor Sonnenaufgang. Geweckt werde ich jedoch um 4 Uhr durch einen zornigen Schrei meines Seilpartners. „We get peed on“ „Fuck“ „Stop that“ und ein paar weitere Kraftausdrücke finden Verwendung. Ein Kletterer weiter oben in der Wand erleichtert sich hauptsächlich zu Lasten von Mike. Ich ziehe mir die Kapuze des Schlafsacks ganz über das Gesicht und lasse es über mich ergehen, da ich weiß wir können nichts dagegen tun. Mikes Schlafsack ist total feucht. Auf meiner Seite des Portaledges hält sich der Schaden in Grenzen. So gut es geht wischen wir alles mit einem alten T-Shirt trocken. Zum trocknen hängen wir dieses so weit entfernt von uns wie nur möglich auf. Da wir nun sowieso schon wach sind, gibt’s gleich noch Frühstück und weiter geht’s zum Boulderproblem.

Das Boulderproblem 5.12d

Zum morgendlichen aufwärmen gibt es eine 5.12a Seillänge und schon finde ich mich wieder am Stand der Huber-Pitch, auch bekannt als das Boulderproblem. Für diese Seillänge packe ich den guten Kletterschuh gerne aus. Nix wie rein in den neuen Scarpa Instinct VSR. Ich rufe mir noch die Griff- und Trittabfolge ins Gedächtnis, leider kann ich mich nicht an alle Einzelheiten erinnern. Ich klettere los. Die Griffe sind noch sehr kalt, gut für mich. Überraschenderweise klettere ich vergleichsweise leichtfüßig und kraftsparend bis zum sogenannten Ninja-Kick-Move. Dort kommt mein Kletterfluss ins Stocken. Ich denke bereits an den nächsten Go den ich machen werde, da es nicht gut aussieht. Ich stehe auf dem falschen Tritt und irgendwie stimmt die Position meiner linken Hand nicht. Ich sortiere meine Füße neu, finde den entscheidenden Untergriff, und hole zum Kick aus. Zu kurz! Ich erreiche die linke Verschneidungswand nicht, falle aber auch nicht, was mich selber verwundert. Ich setzte nochmals an zum Kick, diesmal zu allem entschlossen. Mein Fuß landet auf dem Zieltritt, letzter schwerer Schulterzug in den Riss und das Ende der Schwierigkeiten ist erreicht. Die letzten Meter zum Stand kann ich genießen. Ich freue mich über den Durchstieg dieser Seillänge im ersten Versuch. Das spart einiges an Haut an den Fingerspitzen für die noch kommenden Seillängen.

Freerider „en libre“  (c) Stefan Brunner
Freerider „en libre“  (c) Stefan Brunner
Freerider „en libre“  (c) Stefan Brunner
Freerider „en libre“  (c) Stefan Brunner
Freerider „en libre“  (c) Stefan Brunner
Freerider „en libre“  (c) Stefan Brunner
Freerider „en libre“  (c) Stefan Brunner

Sous le toit. Unter dem Dach.

Leider ist die Sonne auch im November noch sehr kraftvoll in Kalifornien sobald sie vom Himmel lacht. Daher bin ich an diesem Tag gezwungen, bereits nach nur 4 Seillängen das Klettern wieder einzustellen. Mike und ich machen es uns im Portaledge gemütlich, am Sous le toit. Bald muss ich mir die Wind- und Regenjacke als Sonnenschutz anziehen um nicht zu verglühen. Am Abend im Sonnenuntergang starte ich doch noch einen Versuch in den Enduro Corner. Stillsitzen und abwarten war noch nie meine Stärke. Der Fels ist jedoch noch zu warm und erschwert mir das klettern ungemein. Nach ein paar Stürzen erreiche ich den Umlenker. Ich entscheide die Zwischensicherungen in dieser Seillänge zu belassen. Das wird mir hoffentlich morgen früh die nötige Kraft sparen um durchzusteigen.

Letzter Tag in der Wand

Wird es mir gelingen alle Seillängen Rotpunkt zu klettern?

Ganz egal wie meine Kletterleistung heute ausfällt eines ist klar, wir müssen heute noch aus der Wand aussteigen. Zudem ist auch der circa dreistündige Abstieg noch heute zu erledigen. Mike muss morgen wieder arbeiten in Santa Barbara. Für die Fahrt dahin sind circa sechs Stunden zu kalkulieren. Zeitdruck? Ich weiß das alles, versuche es aber so gut wie es geht auszublenden. Mike ist entspannt und sehr zuversichtlich, dass es gelingen wird.

Erster Go Enduro Corner

Ich starte los. Der Fels ist im Schatten die Luft ist noch kalt. Alles ist scheinbar perfekt. Ich klettere entspannt zu meiner persönlichen Schlüsselstelle, die im ersten Teil des Enduro Corner zu finden ist. Die Bewertung stimmt für mich persönlich nicht beziehungsweise zeigt mir voll meine Schwächen auf. Im alten Führer mit 5.12b bewertet der obere Teil mit 5.12d. Das war für mich 2010 schon eher genau anders rum. Der neue Kletterführer setzt dem ganzen noch die Krone auf! Jetzt ist die für mich schwerste Stelle der Route nur mehr mit 5.11c bewertet. Um diese für mich fast unkletterbare 5.11c Seillänge noch etwas anspruchsvoller zu machen, ist sie genau in der schweren Stelle nass, obwohl es seit dem Frühjahr nicht mehr wirklich geregnet hat im Yosemite. Der Fels schwitzt dort irgendwie. Das war bei meinem ersten Besuch im Freerider vor acht Jahren genau gleich. Wenn der Fels zum Klettern zu warm ist, ist dieser Bereich trocken. Ist der Fels im Schatten und eher kalt sind diese Griffe feucht und sehr rutschig.

An der eben beschriebenen Stelle angekommen, doch schon etwas gepumpt aber fest entschlossen, stecke ich meine Fingerspitzen in den Riss und verdrehe sie so gut es geht um Halt zu finden. Mit aller Kraft und Finesse versuche ich irgendwie den nächsten trockenen Griff zu erreichen, doch es gelingt mir nicht. Abflug! Erster Versuch gescheitert. Ich klettere hoch zum Zwischenstand, klippe den Bohrhaken, und versuche die Stelle im Toprope aufzulösen, was mir auch gelingt. Ich versuche den Riss mit Chalk zu trocknen. Dann geht es wieder runter zu Mike. 30 Minuten Pause.

Zweiter Versuch

Wieder läuft es ganz gut bis zur vielbesungenen Stelle. An den nassen Griffen scheitere ich abermals. Ich weiß noch, 2010 habe ich diese Stelle mit stemmen und piazen gelöst. Die neue Lösung, die für mich so gar nicht funktioniert, habe ich bei Max gesehen. Es ist an der Zeit auf alt bewährtes zurückzugreifen. Ich checke mir die Stelle nach dem Sturz nochmals aus. Diesmal mit der Stemm- und Piazvariante. Tritte werden markiert und Mike lässt mich zum Stand ab. Die Tritte sind sehr klein, daher kommt der gute neue Instinct VSR in der nächsten Runde wieder zum Einsatz. 45 Minuten Pause.

Prädikat pumpig

Mike bleibt cool obwohl der Tag rasch seinen Lauf nimmt, es ist fast Mittag, bleibt Mike entspannt. Nie drängt er mich zur Eile, verdreht weder die Augen oder lässt mich irgendwie anders spüren, dass es Zeit ist weiter zu klettern im Hinblick auf seinen morgigen Arbeitstag. Ich selbst jedoch bin nicht ganz frei von Druck. Langsam aber sicher kommt die Sonne. Die linke Verschneidungswand ist bereits voll in der Sonne, der Fels aber noch angenehm temperiert. Es ist Zeit für meinen finalen Versuch. Ich steige wieder einmal die leichte Rampe rauf klippe dort meinen ersten Camalot und lege los. Es fühlt sich gut an, aber das will nichts heißen, das Feeling stimmte auch bei den letzten Versuchen. Ich komme zur Schlüsselstelle. Durch die Stemmvariante bleiben meine Finger trocken, ich muss nicht soweit in den Riss hineingreifen. Ich falle nicht! Ich bin am Handklemmer! Yes! Schnell den Roten Camalot versenken etwas rasten und weiter zum Zwischenstand. Dort wartet ein No-Hand-Rest auf mich, perfekt. Jetzt kommt die obere Enduro Länge 5.12d gleich obendrauf. Alles in allem sind das 50ig anspruchsvolle Meter. Ich klettere weiter. Der Start ist trickreich aber machbar. Ein paar Knieklemmer, schlechte Absicherung, stumpfe Risse, runde Kanten. Endlich kann ich einen der alten Stopper klippen, das gibt Selbstvertrauen. Es geht weiter mit einer Stemm- und Piaz-Stelle. Oft passen meine Finger ganz gut in den Riss, auf 1,5 Meter jedoch nicht, Stemmen ist angesagt. Es folgt ausdauernde Piazkletterei vom feinsten. Prädikat pumpig. Die letzten Meter zum Stand sind eine Mischung aus Piaz und Handklemmer, es ist fast geschafft. Ich kann den Stand bereits knapp vor mir sehen, noch 3 oder 4 Züge und ich bin dort. Doch die Klettergötter wollen es anders! Mein linker Fuß rutscht weg, ich falle! Schon wieder.

Fluchen dreisprachig

Beim Sportklettern kann ich das Geschrei nach einem Sturz oft nicht ganz nachvollziehen. Schon gar nicht, wenn es kein Langzeitprojekt ist und der Kletterer nicht kurz vor dem Durchstieg war. Ich persönlich würde mich auch nicht als besonderen Schreier klassifizieren, doch jetzt ist alles anders. Wilde Flüche hallen durch das Tal! Es dauert ein paar Minuten bis mir die Kraftausdrücke ausgehen, da ich für alle verständlich dreisprachig Fluche – Deutsch, Englisch und Spanisch.

Großes Finale

Für einen weiteren Versuch, wo ich die beiden Enduro Längen alla Alex Huber zusammenhänge, bleibt leider keine Zeit und vielleicht auch nicht mehr genug Kraft. Daher ist für mich rasch klar, ich werde nur die obere Länge in der ich jetzt gestürzt bin nochmals klettern. Fünf Minuten später bin ich bereits wieder am scharfen Ende unterwegs. Diesmal rutscht mein Fuß nicht ab und alles ist wieder Paletti. Ich bin sehr erleichtert. Der gesamte El Capitan fällt von meinen Schultern. Ab hier sollte es kletterbar sein. Es folgt die 5.12a/b Traverse, die exponierteste Seillänge überhaupt. Obwohl ich diese Seillänge erst vor kurzem im Nachstieg geklettert bin und somit wissen sollte wie es ungefähr geht, verklettere ich mich. Mit etwas mehr Kraftaufwand schaffe ich es wieder zurück zur Route ohne Sturz. Gott sei Dank! Am Round Table Biwak angekommen, kann ich wieder einmal etwas relaxen. Nun ist es amtlich, die Schwierigkeiten liegen hinter mir. Nur noch der viel verfluchte 5.10d off-width. Der Rest ist vergleichsweise einfach. Wieder in Wechselführung klettern Mike und ich weiter. Um 17 Uhr erreichen wir den Ausstieg. Es ist schon lange dunkel. Der große Freudentanz samt Emotionen bleibt aus. Ein schnelles High Five, eine kurze Rast und dann geht es schon wieder weiter. Das gesamte Material in den Haulbag, die Verpflegung vernichten – sprich essen, und ab zu den East Ledges, der Abstiegsroute. Um circa 22 Uhr erreichen wir die Autos. Bis das Material sortiert und das Durchstiegsbier getrunken ist, zeigt die Uhr fast Mitternacht.


Text und Bilder: Stefan Brunner, www.stefanbrunner.at

Routeninfo Freerider

Berg: El Captian

Länge: 1000 m, 38 Seillängen

Schwierigkeit:  5.12d bzw. UIAA 9+

Ersbegehung:  Alexaner Huber 1995

Erste Rotpunkt Begehung: Alexander und Thomas Huber 1998

Erste free solo Begehung: Alex Honnold am 3. Juni 2017, in 3 Stunden und 56 Minuten, diese Begehung wurde verfilmt und der Film "Free Solo" gewann 2019 einen Oscar.  



Nach oben