Wer nach Erfolg strebt, muss auch scheitern können
Im Jahr 1995 gelang es den beiden deutschen Bergsteigern Kurt Albert und Bernd Arnold, den Fitz Roy über die extrem rauhe, 1.400 Meter hohe Ostwand zu besteigen. Mit der neu eröffneten Route sorgten die beiden Alpinisten für einen Paukenschlag in der Szene. Der Name „Royal Flush“ wurde bewusst gewählt: Statistisch gesehen stehen einem Kletterer in Patagonien nur zwei bis drei Schönwettertage am Stück zur Verfügung, bevor die Stürme wieder mit einer unglaublichen Intensität die Begehung für Tage, Wochen, ja sogar Monate unmöglich machen. Stefan Glowacz wusste genau, worauf er sich einließ.
Er kennt Patagonien aus zahlreichen früheren Expeditionen. Am Cerro Murallon etwa gelang ihm 2005 die Erstbegehung „Vom Winde verweht“ im oberen neunten Schwierigkeitsgrad. Diese Route durch die 1.000 Meter hohe Nordwand ist eine der schwierigsten weltweit und wurde bis heute nicht wiederholt. Von den Launen des Wetters wurde Glowacz bereits 1990 während der Dreharbeiten zu „Schrei aus Stein“ überrascht, als er tagelang weit oben am Cerro Torre zusammen mit dem Regisseur Werner Herzog in einer Eishöhle ausharren musste, ehe sich das Wetter so weit beruhigte, dass eine Rettung mit dem Hubschrauber möglich war.
Nonstopbegehungen – Der besondere Reiz
Ziel der Expedition war es, die Route „Royal Flush“ nonstop zu klettern. Das heißt: möglichst schnell sowie ohne größere Pausen, aber auch: ohne Biwak und Schlaf den Berg zu bezwingen. Wenn es Nacht wird, kann man nur noch im Schein der Stirnlampe weiter aufsteigen. Nonstopbegehungen sind eine sehr kompromisslose Form des Kletterns mit hohem Tempo und geringer Ausrüstung. Das Seil dient dabei lediglich der Sicherung im Fall eines Sturzes. Glowacz reizt diese ursprüngliche Form des Alpinismus besonders. Er hielt eine Nonstopbegehung am Fitz Roy für möglich und plante dafür circa 45 Stunden ein.
Zwei Versuche bleiben erfolglos
Von insgesamt vier Wochen, die das Team im Dezember 2009 am Fuße des Fitz Roy verbrachte, gab es nur sechs Tage schönes Wetter. Leider folgten diese nicht auf einander. Einsetzender starker Schneefall beendete den ersten Versuch bereits nach 100 Metern. Beim zweiten Anlauf meisterten Glowacz und Gratton 24 von 37 Seillängen.
Ganze 35 Stunden dauerte das Unterfangen. Infolge der ungewöhnlich eisigen Temperaturen konnte das Team jedoch den Zeitplan nicht mehr einhalten. Die Risse im Fels, die sie zum Aufstieg benötigten, waren ab Wandmitte komplett vereist und mussten mühsam mit einem Pickel bearbeitet werden. Das kostete Zeit. Am Vormittag des zweiten Tages trafen Glowacz und Gratton gemeinsam die Entscheidung, die Tour abzubrechen. Eine weitere Nacht in der Wand ohne Biwakausrüstung hätte unkontrollierbare Folgen gehabt.
Scheitern als Teil des Erfolges
Stefan Glowacz weiß, dass er richtig entschieden hat. Wer nicht umkehren kann, spielt mit seinem Leben. Scheitern zu können, ist die einzige Lebensversicherung in den Bergen. Glowacz hält aber an seinem Traum fest und wird wieder zum Fitz Roy aufbrechen. Bei einem erneuten Versuch, zu einer anderen Jahreszeit, wird er die gesammelten Erfahrungen in eine neue Strategie verarbeiten.
Begleitet wurden die beiden Extrem Sportler bei ihrer Expedition vom 27. November bis 22. Dezember 2009 vom Fotografen Klaus Fengler.
Webtipp:Stefan Glowacz