Der Italiener Stefano Ghisolfi ist im Moment einer der absolut besten Kletterer der Welt. Er ist einer von nur sieben Athleten weltweit, denen es gelungen ist eine Route im Schwierigkeitsgrad 9b+ zu klettern. Im Interview mit Lisa-Maria Laserer erzählt der Athlet der Mannschaft Fiammo Oro über seinen Werdegang, seine Enttäuschung über die verpatzte Olympiaqualifikation und über seine schwierigen Felskletterrouten, und er philosophiert darüber, wie es nach seiner Karriere mal weitergehen könnte.
Das Interview wurde von Lisa-Maria Laserer auf Italienisch geführt und danach ins Deutsche übersetzt.
Du hast ja ursprünglich mit dem Mountain Biken angefangen. Erzähl uns bitte, wie Du dann zum Klettern gekommen bist?
Ich habe mit dem Mountain Biken angefangen und bin als Kind auch Rennen gefahren. Es war just nach einem dieser Rennen, dass mich ein paar meiner Freunde mitgenommen haben, um das Klettern zu probieren. Es hat mir sofort gefallen. Ich habe ein gutes Gefühl dabei gehabt und mir fiel das Klettern leicht. Da hab ich verstanden, dass das etwas ist, das mir gefällt und ich damit weitermachen möchte. Daher habe ich in Turin, wo ich wohnte, einen Ort gesucht, wo ich einen Kletterkurs machen konnte. Meine Eltern waren und sind keine Kletterer, daher konnten sie mir selber nichts beibringen. So habe an der SASP in Turin mit einem Kletterkurs begonnen. Es war damals die einzige Kletterhalle, die es 2004 in Turin gab. Ich war 11 Jahre alt. So habe ich mit einem Kinderkletterkurs in dieser Kletterhalle begonnen. Nach 1 Monat circa gab es bereits einen Kletterwettbewerb für Kinder. Ich habe an diesem Wettbewerb teilgenommen, obwohl ich noch nicht mal Kletterschuhe besaß. Ich habe den Wettbewerb mit den Turnschuhen gemacht und bin Zweiter geworden.
Da hab ich sofort verstanden, dass ich im Klettern gut war, obwohl ich noch nicht mal Kletterschuhe hatte und ich gerade erst angefangen hatte. Danach habe ich erfahren, dass dieser Wettbewerb ein Bewerb einer Serie von mehreren Wettbewerben war. Und so habe ich auch diese anderen Wettbewerbe gemacht und der letzte Wettbewerb war die italienische Jugendmeisterschaft, das war dann im Sommer 2005 in Arco, wo ich jetzt lebe. Da kletterte ich schon seit ca. 6 Monaten und diesen Wettbewerb, den habe ich dann gewonnen.
Wow, ein toller Anfang! Wann hast Du dann wirklich gemerkt, dass das Klettern für Dich zum Beruf werden könnte?
Ich habe dann mit den Wettbewerben weitergemacht und auch bereits an einigen Wettbewerben bei den Erwachsenen teilgenommen. Ich konnte dann ein paar Mal auf dem Podium stehen und Wettbewerbe bei der Coppa Italia gewinnen. Dann bekam ich die Möglichkeit Teil einer Sportmannschaft zu werden, den Fiamme Oro di Moena. Das ist in Italien die einzige Möglichkeit um ein professioneller Kletterer zu werden.
Ich musste ja das Interview offiziell von Deiner Mannschaft autorisieren lassen und bekam ein Schreiben vom italienischen Innenministerium auf dem stand, dass Du Teil der Polizei bist. Hast Du auch eine Ausbildung als Polizist oder wie funktioniert das System in Italien, wenn Du ein Profi-Athlet bist?
Das ist damit ich als Profi-Kletterer leben kann. Ich arbeite nicht als Polizist, sondern bin Athlet mit dem Gehalt eines Polizisten. Wenn ich eines Tages meine Kletterkarriere beendet habe, dann kann ich bei der Polizei bleiben, kann als Polizist arbeiten oder als Trainer. Es gibt da viele Möglichkeiten.
Wie ist eigentlich die Nachwuchsarbeit im Kletterbereich in Italien? Also für die Kinder und Jugendlichen?
Es gibt regionale Mannschaften und Mannschaften in den Städten, um an den Kinder- und Jugendwettbewerben teilzunehmen, so wie ich es anfangs gemacht habe und dann werden die Stärksten in eine Sportmannschaft der Polizei oder des Heeres aufgenommen damit man das dann auch beruflich machen kann. Aber man wird nur aufgenommen, wenn man gute nationale, aber auch internationale Resultate erzielt.
In den sozialen Medien sehen wir Dich oft beim Training. Du zeigst uns z.B. Deine Garage, die Du zum Boulderraum umgebaut hast. Wie oft in der Woche trainierst Du und welche Art von Training machst Du genau?
Ich trainiere ca. 6 Mal die Woche mit einem Rasttag. Das hängt aber auch immer etwas von der Jahreszeit ab. Am Anfang vom Jahr, Jänner, Februar, März, trainiere ich mehr um mich auf die bevorstehende Saison vorzubereiten. Da trainiere ich auch manchmal zwei Mal am Tag. Also 6 Tage die Woche, von denen 2 oder 3 ein Doppeltrainingstag sind und ein Rasttag.
Was genau machst Du denn beim Training?
Der Grossteil des Trainings ist an der Kletterwand. Vor allem beim Bouldern mache ich Kraft und Ausdauer. Oder wenn ich in der Kletterhalle bin, trainiere ich Seilklettern. Natürlich trainiere ich auch am Hangboard und am Campusboard.
Machst Du auch andere Sportarten zum Ausgleich?
Früher bin ich Rad gefahren und war snowboarden, aber das habe ich alles aufgehört um mich komplett aufs Klettern zu konzentrieren und auch damit ich mir nicht weh tue.
Hat sich das Training fürs Klettern Deiner Meinung nach in den letzten Jahren verändert? Ich erinnere mich noch zu Zeiten von Wolfgang Güllich, da bestanden die Kletterer fast nur aus Oberkörper und die Beine wurden fast gar nicht trainiert.
Vor allem beim Bouldern muss man heutzutage im ganzen Körper Kraft haben, denn es gibt viele dynamische Bewegungen wo man auch mit den Füssen drücken muss, oder Sprünge oder man muss über Volumen laufen. Das hat sich auf alle Fälle verändert. Was die Schwierigkeit des Sportkletterns und des Vorstiegskletterns betrifft, das ist eher gleich geblieben. Da liegt das Augenmerk des Trainings hauptsächlich auf dem Oberkörper und auf den Armen.
Das Thema Ernährung bei Profi-Athleten steht zur Zeit im Fokus der Öffentlichkeit. Wenn man den Daten, die man über Dich online findet, glauben kann, dann bist Du mit 170cm Körpergrösse und 58kg ein sehr leichter Athlet. Es ist klar, dass man das ideale Verhältnis Gewicht zu Kraft haben muss. Adam Ondra hat vor kurzem gesagt, dass wenn er zu wenig wiegt, seine Dynamik verloren geht. Wie gehst Du für Dich mit dem Thema Ernährung um? Schaust Du da besonders drauf?
Sagen wir, es ist ziemlich normal für mich dieses Gewicht zu haben und ich schaue nicht allzu sehr darauf, dass ich dünner bin oder dass ich Gewicht zu- oder abnehme. Ich esse gesund und versuche nicht mehr oder weniger zu essen um ein gewisses Gewicht zu halten. Ich habe das Glück, dass mein Gewicht stabil bleibt. Natürlich weiss ich, dass wenn ich zu wenig Gewicht habe, ich dann keine Kraft mehr fürs Klettern habe und erst recht nicht zu viel Gewicht haben darf. Jeder hat ein anderes ideales Verhältnis zwischen Gewicht und Kraft fürs Klettern, aber generell darf es nicht zu wenig Gewicht sein, weil das ist dann auch ungesund, aber auch nicht zu viel, weil alle Kilos die wir haben, müssen wir schließlich mit uns nach oben schleppen.
Also auch wenn Du ein großes Ziel hast, änderst Du nichts an Deiner Ernährung?
Nein, ich ändere nichts. Ich versuche einfach immer gesund zu essen.
Im Oktober 2012 warst Du das erste Mal am Podium im Weltcup. Seit 2009 bist Du ja schon im Weltcup dabei. 2021 hast jetzt den Vorstiegsgesamtweltcup gewonnen. Wie motivierst Du Dich nach so langer Zeit immer noch für die Wettkämpfe?
Ich habe einen Mix aus Motivation, der aus Wettkämpfen und Felsklettern besteht. Die Motivation für mich ist, beide Dinge zu haben. Für normalerweise trainiere ich für die Ziele, die ich bei Wettkämpfen habe, aber zwischen den einzelnen Wettkämpfen finde ich auch Zeit um am Fels zu klettern und das ist auch ein Training. Für mich ist es wichtig, mehrere Ziele im Jahr zu haben: den Weltcup und eine 9b- oder 9c-Route oder irgendwas anderes. So habe ich mehrere Ziele und das hilft mir mich zu motivieren. Ich mache so unterschiedliche Dinge und nicht immer das gleiche und das hilft mir mich zu motivieren.
Die Olympischen Spiele in Paris 2024 sind die für Dich eine Motivation?
Ja, die sind sicher eine Motivation. Für Tokio habe ich mich ja nicht qualifizieren können, aber jetzt haben sie für Paris die Speed-Disziplin von den anderen beiden Disziplinen getrennt. Das ist eine gute Sache für mich, denn ich bin beim Speed nicht sehr schnell. Speed war ja mein Schwachpunkt für Tokio und daher habe ich in Paris mehr Chancen beim Bouldern und im Vorstieg, wenn ich zu diesem Zeitpunkt in Form bin.
Du hast ja schon oft über Deine Enttäuschung gesprochen was die Qualifikation für Tokio betrifft und Du hast dabei immer versucht die positiven Seiten zu sehen. Sonst hättest Du ja nicht Bibliographie und Change macht, aber ganz tief drinnen, glaubst Du, dass Dir etwas entgangen ist?
Ja sicher. Mir ist die Möglichkeit entgangen eine Erfahrung zu machen, die sicherlich einzigartig ist. Aber wenn man sich jetzt anschaut, wie es im Endeffekt gelaufen ist, dann wären mir eben andere Dinge entgangen. Jetzt denke ich mir, es ist ok wie es gelaufen ist und ich würde nicht ändern, was passiert ist. Ich bin damit zufrieden.
Aber Du versuchst schon Dich für Paris zu qualifizieren?
Ja, das werde ich versuchen, denn ich möchte diese einzigartige Erfahrung der Olympischen Spiele schon machen. Aber sollte ich mich auch hier nicht qualifizieren können, dann denke ich, werde ich andere Dinge machen, die mir gefallen und die ich dann eben nicht machen würde, wenn ich mich qualifizieren würde. Auf jeden Fall werde ich zufrieden sein mit dem was kommt.
Das Format des Kletterns bei den Olympischen Spielen in Tokio war meines Erachtens sehr konfus. Ich habe als Österreicherin natürlich Jakob Schubert die Daumen gehalten, aber ich hab dann irgendwann nicht mehr verstanden, wo er jetzt eigentlich im Ranking war und ob er überhaupt noch eine Chance auf die Medaille hatte. Als er dann Dritter wurde, hatte ich nicht ganz verstanden wie das zustande gekommen war. Würdest auch Du sagen, dass dieses Format etwas eigenartig war, um es so auszudrücken?
Ja, ich muss auch sagen, dass es schwierig war zu verstehen, wer jetzt Erster oder Zweiter war, aber meiner Meinung nach war es sehr schön anzusehen.
Ja, Du hast Recht, es war sehr spannend.
Genau, denn bis zum letzten Augenblick war es nicht klar, wer jetzt Erster oder Zweiter oder Dritter wird, bis zum Moment als Schubert im Vorstieg dran war. Er war ja als Letzter dran, und als er dann das Top erreichte und die Medaille machte, das war schon emotionell.
Was würde es für Dich bedeuten eine olympische Medaille zu gewinnen?
Stefano: Natürlich wäre das ein Traum. Aber nur schon allein zu den Olympischen Spielen zu fahren wäre schön. Und eine Medaille zu gewinnen wäre umso schöner. In Paris gibt es ja Boulder und Vorstieg, aber im Boulder bin ich nicht unter den Besten der Welt, beim Vorstieg schon. Daher wäre es unerwartet, wenn ich in dieser Kombination Boulder/Vorstieg eine Medaille gewinnen würde. Ich würde nicht erwarten eine Medaille zu gewinnen. Wenn es nur Vorstieg wäre, dann wäre es vielleicht wahrscheinlicher. So eine Medaille zu gewinnen wäre unerwartet, ein Traum. In der Zwischenzeit gehe ich es Schritt für Schritt an. Jetzt muss ich mich erst mal qualifizieren. Dann sehen wir weiter.
Reden wir jetzt etwas über Deine Routen und über mehr klettertechnische Dinge. Wir wissen alle, dass Du im Moment einer der absolut besten Kletterer der Welt bist. Außer Dir haben nur sechs anderer Kletterer eine Route im Schwierigkeitsgrad 9b+ geschafft. Für Laien ist es schwierig den Unterschied in diesen Sphären zu verstehen. Was ist Deiner Meinung nach der Unterschied zwischen 9a und 9b+? Was würdest Du sagen ist das Wichtigste?
Das ist eine schwierige Frage. Das weiß nicht mal ich. Sicherlich ist die mentale Seite sehr wichtig. Das ist schon wichtig um überhaupt auf so einem hohen Niveau zu klettern: das ganze Training, die Konstanz im Training vor allem, die Opfer und das Durchhaltevermögen immer wieder die gleiche schwierige Route zu versuchen, da muss man schon mental stark sein. Es ist nämlich nicht immer gegeben, dass wenn man eine Route nur lange genug versucht, dass man die dann auch schaffen wird. Da gibt es viel Komponenten: Man kann aufgeben, man kriegt Frust, man kann es leid sein, immer wieder das Gleiche zu versuchen. Daher ist sicherlich die mentale Komponente sehr wichtig, zusätzlich natürlich zur körperlichen Komponente. Es ist ja das Gehirn, das alles steuert und ohne mentale Komponente würde das Körperliche alleine nicht reichen.
Du wärst ja schon fast 9c geklettert, Bibliographie, hast aber die Route dann auf 9b+ heruntergesetzt. Ist es für Dich weiterhin ein Ziel 9c zu klettern? Vielleicht Silence zu wiederholen, aber da hast Du ja gesagt, dass diese Route nicht Dein Stil ist.
Es würde mir schon gefallen Silence zu probieren, einfach um zu sehen, wie die Route ist und um mich dann zu entscheiden, ob das etwas ist, was ich für längere Zeit probieren könnte oder um festzustellen, weil es ja nicht mein Stil ist, dass die Route zu schwer ist.
Was ist denn Dein Stil?
Mein Stil sind mehr Routen, wo man Kraftausdauer braucht, Routen die länger sind. Ich habe grosse Ausdauer und für mich ist es gut, wenn es in der Route einen guten „Rastplatz“ gibt und wenn die einzelnen Routensegmente sehr anspruchsvoll sind. Währenddessen Silence hat viele Segmente, die wie Boulder sind, sehr harte Boulder, während ich besser bin, wenn es mehr um Kraftausdauer geht.
Im Moment hast Du ein Projekt, das Du „The Lonely Mountain“ getauft hast. Es ist in Eremo di San Paolo in Arco. Dort bei dem neuen Projekt gibt es ja schon Deine Route Erebor, die erste Route, die Du komplett selbständig eingebohrt hast. Kannst Du von Deinem neuen Projekt erzählen? In Deinem letzten YouTube Video meintest Du ja, dass die Zeit gekommen wäre den Durchstieg zu versuchen. An welchem Punkt bist Du damit angelangt?
Der Anfang vom neuen Projekt ist gleich wie bei Erebor. Nur in der Mitte ist die Routenführung anders, und der letzte Teil ist dann wieder gleich. Dieser Mittelteil ist eben neu, sehr viel schwieriger. Daher ist das neue Projekt gesamt gesehen viel schwieriger. Jetzt habe ich diesen neuen Teil schon seit einiger Zeit probiert und es ist mir bereits gelungen, diesen ganzen neuen Teil zu klettern. Jetzt ist der Moment da, in dem ich versuchen werde, die gesamte Route zu klettern.
Anm.: Stefano ist sein Projekt am 17.12. geklettert:-) und hat es mit 9b bewertet.
Naja, jetzt wird es vom Wetter her schon sehr kalt werden, was nicht gerade ideale Bedingungen für sehr schwere Routen sind, oder?
Ich mag die Kälte eigentlich, aber vielleicht wird es nun schön langsam auch bei uns zu kalt.
Jetzt noch ein paar Worte über Deine Zukunft: Du hast ja schon über die Olympischen Spiele in Paris 2024 gesprochen, aber wie lange glaubst Du, wirst Du noch mit den Wettkämpfen weitermachen?
Ich bin nicht sicher. Aber sicherlich versuche ich mich für Paris zu qualifizieren und dann hängt es davon ab, wie es mir geht und vielleicht entscheide ich mich bis Los Angeles 2028 weiterzumachen. Da werde ich dann 35 Jahre alt sein, schon ein bisschen in die Jahre gekommen, aber noch nicht allzu sehr.
Gibt es noch irgendetwas, von dem zu sagst, das muss ich absolut noch machen?
Ich möchte sicherlich noch 9c klettern. Das wäre schön.
Zu guter Letzt: Hast Du Dir schon Gedanken darüber gemacht, was Du nach Deiner Profi-Kletterkarriere machen möchtest? Polizist? Alpinist vielleicht? Oder gar Content Creator, wie zum Beispiel Dein ehemaliger Kollege Magnus Midtbø?
Also Alpinist sicher nicht. Möglichkeiten gibt es aber viele: entweder als Polizist oder es gibt auch die Möglichkeit als Trainer zu arbeiten. Ich hoffe auf alle Fälle, dass ich danach weiterhin Felsklettern werde. Sicherlich werde ich irgendwann mal mit den Wettkämpfen aufhören, aber das Felsklettern wird mir sicherlich bleiben. Ich hoffe, dass ich vielleicht mit 40 oder 50 Jahren immer noch schwierige Routen im Fels klettern werde können.
Und was ist mit Content Creation? Deine Videos sind sehr gut. Wäre das auch eine Möglichkeit?
Ich probiere das im Moment aus und wenn es funktioniert, kann ich es mir schon vorstellen.
Herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!