23 April 2020

Klettersteigparadies Brenta

Die zwei Seiten der Brenta - der alpinistisch anspruchsvolle Norden und die weltberühmte Via delle Bocchette im Süden

Der mächtige Gebirgskamm der Brentagruppe wird meist fälschlicherweise zu den Dolomiten gezählt, liegt aber auf der anderen Seite des Etschtales. Der Grund für die falsche Zuordnung liegt sicherlich in der dolomitenähnlichen Felskulisse, die mit senkrechten Wänden und Türmen die 3000er-Grenze überragt und in hintersten Felswinkeln auch heute noch Gletscherreste verbirgt. Die echten Felskletterer zieht es oft in die etwas höheren echten Dolomitenwände, was auch daran liegen mag, dass die Königslinien in der Brenta den Ferratisten vorbehalten sind. Die Brentagruppe gehört zweifelsfrei zu den besten mit Eisenleitern erschlossenen Gebirgsgruppen im gesamten Alpenraum.

Weit über die italienischen Grenzen bekannt ist die Via delle Bocchette im Süden der Brenta. Obwohl die Tour durchaus anspruchsvoll ist, wird die Via delle Bocchette von Ferratisten geradezu gestürmt. Zu Recht, denn dieser Höhenweg ist einer der einzigartigsten Panoramasteige der Alpen und verläuft zwischen dem Grostèpass und der XII Apostel Hütte auf einer durchschnittlichen Höhe von ca. 2500 bis 2700 m immer entlang des Brenta Hauptkammes. Der Steig gliedert sich in einzelne Teilabschnitte über Grate und schmale Bänder mit berauschenden Tiefblicken. Ganz anders der Norden der Brenta, dort dominieren lange und alpinistisch anspruchsvolle Klettersteige, die zwar etwas weniger spektakulär, dafür aber bedeutend ruhiger sind. Einige Wanderwege mit Versicherungen (tlw. Seilsicherung) runden die vielfältigen Möglichkeiten ab. Optimaler Ausgangspunkt ist Madonna di Campiglio.

Via delle Bocchette – in 5 Tagen durch die südliche Brenta:

Am ersten Tag dieser weltberühmten Tour geht es gemütlich mit der Seilbahn hinauf auf den Passo del Grostè, von wo aus man in einer guten Stunde den Einstieg des Sentiero Alfredo Benini am Fuß der Cima Grostè erreicht. Der Sentiero führt an der Ostseite der Cima Falkner auf einem sonnendurchfluteten und immer schmäler werdenden Band zur Cima Sella, wechselt davor kurz auf die Westseite, bevor es über unzählige Leitern steil hinunter zur Bocca d. Tuckett geht. Am unteren Ende des Kars sieht man bereits die gleichnamige Hütte, in der ein gemütlicher Einstiegstag den urigen Ausklang findet, bevor am nächsten Morgen die Königsetappe in Angriff genommen wird.

Am zweiten Tag steigt man wieder in die Bocca di Tuckett hinauf und folgt dem Brenta Hauptkamm auf dem Sentiero Bocchette Alte in einem fantastischen Auf und Ab über ausgesetzte Leitern und schöne Querpassagen auf den „Brentabändern“ - Dolomitenfeeling der Extraklasse in der Brenta! - nach Süden zum Rifugio Alimonta. Dieser Abschnitt ist von vielen langen und teilweise extrem steilen Leitern geprägt, deren Höhepunkte die Scala degli Amici bzw. Scala degli Dei (Götterleiter) bilden. Auch überschreitet man auf der Bocchette Alte kurz die 3000er-Marke. Der Aufstieg auf die 3150 m hohe Cima di Brenta ist grundsätzlich möglich, sollte aber nur von erfahrenen Alpinisten gemacht werden (ungesicherte Kletterei bis 2-).

Der "Bänderklettersteig" Bocchette Centrale

Am dritten Tag geht es auf der Via delle Bocchette Centrale, dem berühmten Bänderklettersteig, direkt ins Herz der Brenta mit der eindrucksvollen Felsnadel des Campanile Basso, die 450 m aus dem Kar ragt. Immer auf ganz schmalen, aber gut gangbaren Felsbändern, die wie mit dem Lineal gezogen die Felswände teilen, gelangt man zum Rifugio Pedrotti-Tosa. Am vierten Tag stehen der Sentiero Brentari und Sentiero dell‘Ideale auf dem Programm. Beide Steige zählen zu den ältesten Brentasteigen und stellen den letzten Teil der Brentadurchquerung dar, der vor allem von den beiden Gletschern - d´Ambiez und Camosci - geprägt ist. Der Abstieg auf den d‘Ambiez Gletscher und der Beginn des Aufstieges zur Bocca d‘Ambiez gehören wegen des Gletscherrückganges zu den schwierigsten Passagen des gesamten Bocchette-Weges. Bevor es auf den Gletscher hinuntergeht, können sehr erfahrene Alpinisten noch auf den höchsten Brentagipfel, die Cima Tosa, 3173 m, steigen, sie müssen dabei aber einen steilen Kamin im 2ten Schwierigkeitsgrad im Auf- und Abstieg überwinden.

Für Freunde steiler Eisenleitern bietet sich die Variante über die Ferrata Ettore Castiglioni an. Beide Varianten treffen sich beim Rifugio XII Apostoli, wo man die gelungene Durchquerung der Brenta mit dem lustigen Hüttenwirt so richtig feiert und sich am nächsten Tag auf den landschaftlich schönen, aber langen Rückweg macht. Dieser kann entweder im Tal oder wieder an mehreren Tagen im ersten Stock der Brenta erfolgen. Denn parallel zum Bocchette-Weg, der sicherlich das Brenta Penthouse darstellt, kann man die südliche Brenta im Osten und im Westen auch eine Etage tiefer auf schönen und etwas weniger schweren Klettersteigen, wie z.B. den Sentiero SOSAT oder Sentiero Osvaldo Orsi, durchqueren, die auch gerne bei unsicherem Wetter oder Kräftemangel als Ersatzetappe gemacht werden.

Bildergalerie: Klettersteige - Via Ferrata Brenta

Sentiero Claudio Constanzi (B/C u. 1), hier unterhalb des Sasso Alto, dahinter die Cima Sassara, 2892 m, das Dach der Tour
Nach der Cima Sassara,
Abstieg zum Passo Pro Castron
Sentiero Gustavo Vidi (A/B), der Start in die nördliche Brenta
Sentiero Gustavo Vidi und der Sentiero Claudio Costanzi in der nördlichen Brenta
Sentiero Brentari - Tag 4 des Bocchette Wegs
Sentiero Brentari - Tag 4 des Bocchette Wegs

Einsamer Norden

Wer vom Passo del Grostè nach Norden geht, trifft auf eine völlig andere Brenta ohne Dolomitenfeeling, Schutzhütten und Menschenmassen. Doch auch dort gibt es am Kamm mit dem Sentiero Claudio Costanzi eine echte Kingline, jedoch mit etwas anderem Anforderungsprofil als der Bocchette-Weg. Gefragt sind neben dem Kletterkönnen bis Schwierigkeit C und Schwierigkeit 1 auch alpine Erfahrung, 100%ige Trittsicherheit und, für jene, die nicht eine Nacht in einer der Biwakschachteln verbringen möchten, eine perfekte Kondition. Die Dreitausender-Grenze bleibt auf diesem Steig zwar verwehrt, dafür eröffnet sich gleich zu Beginn ein toller Blick auf die südliche Brenta und die Chance einen der in freier Wildbahn lebenden Brenta Bären zu treffen.

Egal ob Süden oder Norden, eine Klettersteigwoche in der Brenta gehört zu den absoluten Pflichtterminen eines Ferratisten. Die Tour sollte aber vor dem 20. September gemacht werden, denn an diesem Tag schließen traditionell alle Brentahütten und das gesamte Gebirge wird für die nächsten neun Monate den zotteligen Vierbeinern überlassen.

Infobox: Via delle Bocchette – in 4 Tagen durch die Brenta:

1. Tag: Passo del Grostè - Sentiero Alfredo Benini zum Rifugio Tuckett

2. Tag: Sentiero Bocchette Alte zum Rifugio Alimonta;

3. Tag: Via delle Bocchette Centrale zum Rifugio Pedrotti-Tosa

4. Tag: Sent. Brentari und Sent. dell‘Ideale zum Rifugio XII Apostoli und Abstieg nach Madonna di Campiglio.

Text: Andreas Jentzsch

Fotos: Axel Jentzsch-Rabl, Andreas Jentzsch, Erhard Mitsche

Führerliteratur:

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