Als ich von Michi Maili im Herbst 2019 zu einem Eisklettertripp in die Rocky Mountains eingeladen wurde, war das für mich gleichsam unglaublich wie beängstigend. Selbst nie daran gedacht, sollte ich plötzlich die Möglichkeit erhalten, das Mekka des Eiskletterns kennen zu lernen…
…nach unserer Anreise über Amsterdam und Calgary nach Canmore, unserem Stützpunkt für die kommenden 16 Tage, ging es für uns Vier- Alex Schranz, Flow Haberfehlner, Michi Maili und mich- am ersten Tag gleich mal zu einem wahren Klassiker ins bow valley, dem Bourgeau Left Hand (WI 5+). Das Besondere an dieser Tour ist nicht nur die Tatsache, dass diese 1974 die erste WI 6 Tour in den Rockies wurde, sondern auch deren Lawinengefährlichkeit. Da wir aber diesbezüglich optimale Bedingungen hatten, konnten wir diese Perle erfolgreich klettern.
Das Glück musste genutzt werden, und so starteten wir am zweiten Tag nach Field zum Pilsner Pillar (WI 6). Dort haben alle Eisfälle Biernamen- pilsner, kronenbourg, guiness, heineken, carlsberg…:-). Die Säule des Pilsner ist DAS Paradebeispiel für eine Kerze, die jedes Eiskletterherz höherschlagen lässt! Völlig freistehend zum rundherum gehen nutzten wir den trockenen, allerdings auch steileren und schwereren linken Bereich der Säule. Nach sehr schwieriger, aber erfolgreicher Bewältigung dieses Trums kletterten wir selbstverständlich die noch folgenden sechs Seillängen im tiefblauen Wassereis bis zu dessen Ende.
Der dritte Tag brachte mit dem Cascade Waterfalls (WI 4) eine leichte Erholung der Kletterschwierigkeit. Wahrscheinlich ist diese Tour die erste bestiegene Eisroute in den Rockies 1970 gewesen.
Angespornt durch die mehr als guten Bedingungen fuhren wir am vierten Tag weit nach Norden zum icefield parkway, wo Ice Nine (WI 6) in voller, fetter Pracht auf uns wartete. Selten in einem so guten Zustand, war das Klettern an dieser Säule ein wahrer Genuss: die Temperatur lediglich knapp unter Null, Sonnenschein, softice und eine coole Stimmung waren die Zutaten zu einem weiteren erfolgreichen Klettertag.
Wir düsten nochmals ins nordwestlich von Canmore gelegene Field. Dort gab es genug zu klettern: Flow und Michi stiegen in die ungemein ausgesetzte Tour Twisted(WI 6) ein, die man schon vom highway aus bestaunen kann. Bei viel Eis eine Genusstour ersten Ranges mit sagenhaften Tiefblicken, verlangte diese Linie bei wenig Eis in der ersten Seillänge ein sehr vorsichtiges Hochsteigen ohne einer beruhigenden, verlässlichen Sicherung. Alex und ich wandten uns etwas Gemütlicherem zu und stiegen durch den gut aufgebauten Guiness Gully (WI 4).
Die Wettervorhersage noch immer sehr gut mit knappen Minusgraden ließ uns zur weeping wall fahren. Der Weg zum darüber stehenden Weeping Pillar (WI 6) führte uns durch die mächtige lower weeping wall über die Route left hand (WI 4). Leider mussten wir an diesem Tag den pillar wegen der hohen Temperaturen und dem starken Eisschlag fluchtartig verlassen. Aber wir kommen wieder, ganz sicher!
So schön im allgemeinen Sonne und moderate Temperaturen sind, beim Eisklettern heißt es da ganz genau hinsehen. Wir verlegten daher unsere Tourenplanung auf die nordseitig ausgerichteten Fälle, deren es ja auch mehr als genug gibt. Wir mussten gleich mal rein zur Stanley Headwall. Dort stehen eine Vielzahl der berühmtesten Eisfälle der Welt- und der wohl mit bekannteste von allen ist Nemesis (WI 6). Bereits 1974 erstbegangen, bekam dieser Fall erstmals in der Geschichte des Eiskletterns die Schwierigkeitsbewertung WI 6. Und im Gegensatz zu vielen anderen Linien, die mittlerweile abgewertet wurden, besitzt Nemesis noch immer den sechsten Eisgrad. Wir fanden unglaublich gute Verhältnisse vor, sodass das Raufklettern ein Riesenspass war.
Gut erholt nach einem Ruhetag zog es uns zur Yoho valley road. Grovelling gully (WI 3) an der linken Begrenzung des Eisfalls, Peristroika (WI 5) an der rechten Begrenzung und die king line in der zentralen Mitte, genannt Iron Curtain (WI 6), wurden von uns geklettert. Leider verletzte sich Michi beim Abstieg am rechten Auge, sodass für ihn der Kletterurlaub vorbei war. Alles Gute auch auf diesem Wege, Michi!
Flow rannte tags darauf förmlich den Snivelling Gully (WI 4) an der lower weeping wall hinauf. Wir mussten uns beeilen- wir wollten neuerlich zum Weeping Pillar (WI 6). Die Verhältnisse sahen sehr gut aus und waren es auch: den ganzen Tag waren wir die einzigen Kletterer in dieser Wand- der pillar gehörte uns ganz alleine. Und die Kletterei war diesmal traumhaft!
Nach einer etwas kürzeren Nacht waren wir froh, ein wenig ausschlafen zu können und fuhren nun wieder zu Dritt nach Lake Louise zum Louise Falls (WI 5). Ein wunderschöner Fall am nordwestlichen Ende des malerischen gleichnamigen Sees war der perfekte Ausgleich zur harten Tour des Vortages.
Als Flow und ich tags darauf nach stundenlanger Schneeschauflerei im Ghost Valley wieder unter die Lebenden fanden, zog es uns trotzdem nicht gleich nach Hause, sondern zu zwei wunderschönen, chilligen Eislinien in den Kananaskis mountains. Moonlightund Snowline (WI 4) waren da genau das Richtige: Herrliches lockeres Steigen in einer Traumgegend rettete uns beiden den Tag (und unser angeschlagenes Ego)…
Einmal wollten wir noch nach Norden: Weeping Wall Right Hand (WI 5) und der Central Pillar (WI 5+), ein im Mittelteil senkrecht stehendes Eisschild lachte zu schön zu uns hinunter, um nicht auch noch erfolgreich geklettert zu werden.
Was macht man am letzten Klettertag, wenn man schon so erfolgreiche und lässige Tage in Canmore verbracht hatte? Richtig: man sucht sich ein weiteres Juwel aus dem Kletterführer, packt nochmal seine sieben Sachen und wandert mit Schi auf einem gesperrten und tief verschneiten highway in den wirklich allerletzten und fast nicht auffindbaren Graben, um seine Leidenschaft zu befriedigen. Bis man endlich zu einem markanten Rechtsknick in dieser Schlucht kommt und dieses Ding auf einmal vor uns stand- Whiteman Falls (WI 6)!
Es schneite ohne Unterlass und kein Hauch regte sich. Es war unheimlich und wunderschön zu gleich. Knapp 100 Meter stellt sich diese Säule senkrecht in den Himmel. Und wollten wir ursprünglich an diesem Ort selbst kein lautes Wort sprechen, so stieß Flow doch noch einen Schrei der Begeisterung aus, als er den Standplatz oben klicken konnte. Gratuliere, Flow!
Ein Fazit zu ziehen über diese zwei Wochen ist schwer- für mich war es ein wunderbarer und erlebnisreicher Tripp in das Mekka der Eiskletterer. Und nebenbei wurden es knapp 3.000 Klettermeter im senkrechten Eis!
Ich danke einmal mehr dem Herrgott für diese gemeinsamen Erlebnisse und für das gesunde nach Hause kommen zu meiner Familie- vergelt`s Gott!
pics copyright by mmARts, 4810above, Alex Schranz sowie bergtraum.at