Im weißen Licht der Stirnlampe
Ich lehne mich an den Schnee während ich mehr an der Abseilschlinge hänge als daß ich auf den Füßen stehe und schaue im weißen Licht meiner Stirnlampe an den Seilen entlang die nach wenigen Metern unter mir im Dunkeln verschwinden.
Berni’s Stimme zieht mich aus dem angenehmen Dösen zurück zu dem Pulverschnee der schon wieder über mich drüber und irgendwo in die Jacke reinrieselt „Schschschsch…“
„He Walter, ich hab keine Ahnung wo ich bin und unter mir ist nur noch schwarzes Nichts!“
„…--…“
„Walter?!?“
„ Schsch…-e! - Ja, ich hab’s verstanden! Kannst Du Dich irgendwo festhalten oder stehen?“
Das was zu mir dringt interpretiere ich als kein eindeutiges Nein.
„Ich komm jetzt zu Dir!“ Ich befreie mich entgültig aus meiner Lithargie: Abseilgerät eingeklinkt, Abseilschlinge nochmal kontrolliert, sie liegt über eine Schuppe, hinten ist lauter Eis, hoffentlich ist das Teil nicht nur festgefroren, und wenn dann bitte gscheit. Selbstsicherung ausgeklinkt und ab ins Dunkel. Irgendwann Bernis Stirnlampe, er steht auf einem ziemlich schmalen verschneiten Band im Schnee. Sein Abseilgerät ist noch eingeklinkt. Er zieht mich so gut es geht zu sich ran.
Da unten, die nächste Abseile
„Da, jetzt hab ich was entdeckt, da unten, nächste Abseile!“ Fünf Meter unter uns ein Podest, er glaubt eine Schlinge zu erkennen. „ Ich kletter’ das schnell ab…“ und zieht das Seil locker.
„Nein! Stop! Wenn Du rutschst muß ich mit und wir hängen beide an der Schuppe da oben! Seil lieber langsam ab und dann komm ich.“ Gut, er spannt das Seil wieder, belastet es, es zieht mich ein Stück zu ihm nach unten. Es gibt einen kleinen Ruck, und dann ein mieses Geräusch das sich sofort durch mein Ohr ins Hirn bohrt, gefolgt von der sachlichen Erkenntniss daß der Ruck viel zu groß war, irgendwelche Synapsen blitzen in meinem Gehirn nanosekundenlang auf und formen aus zwei Informationen die dritte: Die Schuppe hat nicht gehalten, gefolgt von der vierten daraus kombinierten Info: „Sch..eiße!!!!“
Nur ein Traum
Ich reiße die Augen auf, die Kälte brennt. Über mir 1.000 Sterne. Mann, so beschissen hab ich ja schon lang nicht mehr geträumt! Na schön, wenn ich schon mal wach bin kann ich wenigstens noch einen von diesen extragenialen Riegeln essen, außen Schokoüberzug und innen irgendwas Marzipanähnliches, von Seitenbacher. Wichtig ist das E nach dem T ganz deutlich auszusprechen, so macht das der Herr Seitenbacher auch immer in seiner Radiowerbung. Die produziert er selbst, zusammen mit seiner Tochter, und zwar so schlecht daß es schon wieder richtig gut ist. Am Ende kommt dann sowas wie „Fruchthütchen – von Seitenbacher!“ raus. Jedenfalls genau die Art von schwachsinnigen Wortzusammensetzungen die ich dann wieder eine ganze Tour lang im Kopf hab und das E von Seitenbacher im Geiste so auszusprechen versuche wie der Herr Seitenbacher selbst. Aber diesmal war’s was anderes, viel besser, da hatte ich Chelsea Dagger von den Fratellis im Ohr, und Berni genauso, was dazu geführt hatte daß wir das dauernd aus der Wand gegrölt haben. Zum Glück ist im Winter niemand unter den Nordwänden der Drei Zinnen der uns hätte hören können.
Ganz relaxt zum Misurinasee
Am Samstag sind wir ganz relaxt zum Misurinasee gefahren und haben am frühen Nachmittag ein gemütliches Biwak bei der Lavaredohütte bezogen.
Dann noch hinüber zum Paternsattel gespurt, was ohne Ski eine rechte Viecherei ist, aber was soll’s. Zum Einstieg hinüber gings dann gut, keine Wühlerei mehr. Ich fasse den Fels der Nordwand an und bin erstaunt: Garnicht mal so kalt. Ich hatte mit einer abstoßenderen ersten Berührung gerechnet. Aber nein, der Fels ist schön, rauh, kühl, aber nicht abschreckend kalt. Die Nervosität verfliegt, ich fühle mich stark und wohl, es geht mir gut. Ich bin überzeugt daß unser Plan richtig und gut ist: Kein Biwak in der Wand, leicht sein und schnell durch. Keine Brotzteit, jeder nur drei Schokoriegel und ein Doserl Red Bull, sogar die Thermoskanne bleibt unten. Dafür gibt’s heut noch ein feudales Mal: Gulasch von daheim mit Nudeln, Glühwein und Süßkram, dazu gefrorene Bananengatsche.
Aufwachen, Gurtanziehen und gleich 8-
In der Früh geht alles nach Plan, aufwachen ist erstmal noch nicht wirklich notwendig. Am Einstieg umständlich den Gurt anziehen und das kalte Metall dranhängen. System ist dabei wichtig. Ein gutes System am Gurt gibt mir Vertrauen. Das ergibt diesmal sogar so viel Vertrauen daß es mir den Gurt beinah wieder über den Hintern runterzieht. Winter ist doch nicht Sommer, bissel mehr darfs dann schon sein.
Dann geht’s los. Die ersten Meter sind immer 8-, egal was es ist. Aber dann geht’s besser als gedacht den verschneiten Vorbau hinauf. Die erste Seillänge gehe ich auch gleich noch hinauf, ich hoffe da oben auf einen besseren Platz zum Schuhe wechseln, und das spart Zeit. Zeit ist wohl unser kostbarstes Gut heute.
Guter Platz? Nicht ganz. Alles was flach, sprich nicht überhängend ist in dieser Wand ist bis oben hin mit Schnee angehäuft. Mist, der muß erstmal weg, oder wenigstens in eine Form gebracht werden daß auch wir noch Platz haben. Drei sind einer zuviel, und wir wollen hier sein, also muß der weiße Mist weg. Mit Händen und Füßen trete, scharre, kratze und buddle ich einen Platz für uns frei. Soll das den ganzen Tag so bleiben?
Dann folgt der Kaltstart in die erste schwere Länge, VII-, und eher unangenehm. Was solls, hilft ja nix, hinauf muß ich.
Nach den ersten Metern geht’s dann schon besser von der Hand. Eklig ist das Eis das sich an den Sohlen bildet sobald ich irgendwo in den Schnee getreten bin. Wutsch! schon ist der Fuß weg. Naja, hab’ ja zum Glück noch ein gutes Grifferl in der Hand gehabt.
Das Wutsch wenn der Fuß wegrutscht
Man gewöhnt sich an alles. Auch an das Wutsch wenn der Fuß wegrutscht. Außerdem muß man den Dingen auch mal was Positives abgewinnen können. Der Schuh hätte ja auch festfrieren können. Oder so: Wenn der Fuß nicht weggerutscht wäre würde mir vielleicht garnicht bewußt werden wie gut es ist ein so feines gutes Grifferl in der Hand zu haben. Ja, das ist gut! Ich freu mich richtig. Wie armselig wär doch so ein Klettererleben ohne dieses Wutsch! Ah, ist das gut! Richtig schöne Kletterei, wer hätte das gedacht.
Die schweren sieben Längen laufen gut, zwar nicht wirklich warm, aber sie laufen gut. Am Stand ist’s schon oft lausig kalt, aber ich hab keine Zeit zum Zittern, sonst würde ich die Filmaufnahmen verwackeln. Also weniger frieren und ruhiger filmen! In der Wandmitte beim Italienerbiwak gönne ich mir das Doserl Red Bull, das ich mir in der Jackentasche warm halten wollte. Hat leider nicht ganz geklappt. Egal. Es flockt so aus wenn’s friert, die Molekü(h)le kuscheln sich halt zusammen, und das ergibt dann so dicke Wölckchen. Das dumme ist daß diese Wölkchen irgendwie den viel zu kleinen Ausguß verstopfen. Also schüttlen, und dabei fliegt natürlich das was noch nicht zusammengekuschelt als Wölkechen im Doserl sitzt in hohem Bogen raus und ich hab den Schlaz im Gesicht.
Ok, dann ist jetzt eben Krieg. Gegner hab ich auch gleich einen: Einer der drei Haken am Stand vom Italienerbiwak klimpert schon aus dem Riß bevor ich überhaupt was eingehängt habe. Na warte, Du kriegst jetzt aber ein paar aufs Häuptel, mit meinem schönen Hämmerli. Ich pack das Stück Eisen am Hals, ab in eine passende Ritze und immer draufgehauen. Ja, das macht wieder Spaß! Voller Freude über diese Genugtuung und mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht wisch ich mir die Red Bull Kleckse aus dem Selben und schüttle wieder, diesmal in die andere Richtung. Dann Wölkchenlutschen.
Gut unterwegs im steilen Teil
Bernis Kopf taucht aus dem Nichts auf. Das Italienerbiwak trennt die Wand in einen unteren, gelben, steileren und einen oberen, grauen und flacheren Wandteil auf. Steil und gelb weil überhängend. Grau und flach weil nur noch senkrecht. Wenn man nun im Senkrechten steht und zurückschaut sieht man nichts mehr von der Wand, weil die ja überhängend unter einem verschwindet. Also sieht man Nichts. Und aus eben diesem Nichts taucht Berni jetzt auf.
Er ist gut unterwegs, wir haben den steilen Teil recht schnell hinter uns gebracht. Aber jetzt gibt’s das Problem daß hier im flacheren Teil auch der Schnee und das Eis ein leichtes Spiel hatten sich über den Winter häuslich einzurichten, und so sitzt dieses unterkühlte Zeugs überall, am meisten da wo man’s nicht brauchen kann. „Berni, meinst kann man die Nordwand mit Schi abfahren?“ Vom Schifahren versteh ich nicht so viel, also frag ich. Wer nicht fragt bleibt dumm. „Klar, kannst sogar du, oben hinstellen und los. Unten brauchst halt a gute Knietechnik zum Abschwingen.“ Aha.
Gut daß ich gefragt habe, ich hätt’s für schwieriger gehalten, denk ich für mich und überlege wie wohl die nächste Seillänge als Schitour wäre. Überall wo ich hingreifen will sitzt entweder schon weißer Pulver oder glasiges Eis hat sich festgekrallt. Dumm daran ist daß man das nicht sieht, erst wenn man den Griff in der Hand hat spürt man daß er schon besetzt ist weil man festfriert. Das verringert die Auswahl an brauchbaren Griffen erheblich. Naja, ist halt Winter, wird schon gehen. Ein breites Band zu Beginn der großen Schlußverschneidung ist mal wieder meterhoch mit Schnee angefüllt.
Stehparty unter dem Kamin
Also doch Schitour. Noch dazu wird’s jetzt immer kühler, ein Stand im Kamin kommt mir vor wie eine Stehparty im Gefrierfach unseres Kühlschranks, nur daß hier die guten Sachen fehlen, wie Vanilleeis, Fischstäbchen, etc. Nur Eis gibt’s auch hier in rauhen Mengen, aber was nützt mir das ohne Limetten, Pitu und braunem Zucker? Irgendwie alles Mist. Die leichten Ausstiegslängen sind kein Spaß heute. Andauernd frieren die Finger am Fels fest, bald ist alle Haut aufgebraucht. Lästig ist das.
Berni tut sich auch nicht so leicht. Aber er ist unverwüstlich. Zumindest wahrt er den Anschein. Auch als er in dem langen Quergang von einem vereisten Tritt abrutscht und einen Besichtigungstermin der Wand ein paar Meter unter dem Quergang wahrnimmt.
Dann erreichen wir das Ringband: In traurigem Zustand, nix mit locker übers Ringband rauslaufen, das sieht eher nach Wühlkampf aus. Schon wieder Schitour?
Die Tortour auf dem Ringband
Es beginnt die Tortour nach der Tour. Das Ringband ist wie ein überdachter Bürgersteig, nur daß irgendwer diesen wunderbaren Bürgersteig bis oben hin mit Schnee aufgefüllt hat, die Bordsteikante fehlt und statt Straße gibt’s dann 400 Meter Winterluft bis zum Einstieg. Echtes Alpinfeeling kommt auf, die Ausdrucksweise ist nicht mehr wiederzugeben. Zum Glück gibt’s Dialektausdrücke die einfach nicht ins Schriftdeutsch zu übersetzten sind. An der westlichen Ecke kommen wir endlich in die Nachmittagssonne. Andere Ausdrücke, leider auch nicht zu übersetzten. Und dann dieser Juchhitzer!
Es ist schön. Bergsteigen macht mich glücklich. Ich weiß das, jetzt, genau jetzt weiß ich’s wieder. Schön. In der Sonne trödeln. Also trödeln wir halt mal ein bischen durch die Schneefelder.
Der Schatten dem Tag das Licht aus
Bei der ersten Abseilstelle bläst der Schatten dem Tag das Licht langsam aus. Aber wir haben uns schon so schön ans Trödeln gewöhnt, also trödeln wir weiter. Außerdem bin ich jetzt einfach mal müde.
An den Abseilstellen lehne ich mich an, döse vor mich hin, mittlerweile ist es stockdunkel. Aus dem Dunkel unter mir dringt Bernis Stimme zu mir: „…ich hab keine Ahnung wo ich bin und unter mir nur schwarzes Nichts!“….
Im Schnee zwischen Kl. und Gr. Zinne
Ein paar Abseilstellen weiter stehen wir im steilen Schnee zwischen Kleiner und Großer Zinne und holen uns blaue Flecken an den Schienbeinen vom Bruchharsch. Wieder bei den Schlafsäcken: Erst a mal a Bixn Red Bull aufgrissn, Kocher angeschmissen und die Wölkchen aufgelöst! Jaaaa, Bergsteigen macht mich wirklich glücklich!
Dann tausend Sterne über mir. In den Träumen schafft sich die Seele ihre Angst vom Hals. Ist schon recht so, damit sie das nächste Mal wieder leicht ist, auch wenns schwer wird. Und schwer ist bekanntlichtlich leicht mal was.
Text & Fotos: Walter Lackermayr
Daten zur Comici
Berg: Große Zinne 2999 m
Ausrichtung: Norden
Wandhöhe: 500 m
Schwierigkeit: 7 (6-/A1)
Seillängen: 12 (oder etwas mehr)
Erste Begehung: Emilio Comici und Guiseppe und Angelo Dimai; 1933
Infos & Topo:Comici Route Große Zinne