Ziel ist die Erstbegehung einer noch unbestiegenen Granitspitze am Mittivakat (852 m) in Ost-Grönland.
Bereits im Flugzeug hat sich unter den Freunden das Grönlandvirus ausgebreitet – angesteckt von den Erzählungen eines Kletterfreundes. Kaum haben die Tiroler Kletterer den Flughafen von Kulusuk erreicht, geht es mit dem Boot weiter zum Zielort Tasilaq. Die Bedingungen vor Ort erweisen sich als optimal: Ein wolkenloser Himmel wölbt sich über die schwarzen Granittürme, die sich aus einem tiefblauen Meer erheben. Auch von den Mosquitos im Base Camp am Ufer der malerischen Meeresbucht lassen sich die Jungs die Laune nicht verderben.
Erste Hürden
Am 15. Juli wird es ernst. Bisher hat die Gruppe keine Angaben zum Zustieg und kennt keine Details über die Schwierigkeiten oder Steilheit der Wandfluchten. Sie entscheiden in einer Zweier-Seilschaft als extrem bewegliche, flexible und schlagkräftige Einheit die ärgsten Irrwege auszuloten um Andy Holzer Kraft zu ersparen. Andy kann sich dann vom Nachsteiger seiner Dreier-Seilschaft manch guten Tipp über exakte Höhe, etwa des Ansatzes von Quergängen oder Ähnlichem, flüstern lassen. Gegen 9 Uhr machen die Jungs sich schwerbepackt auf in Richtung Felswand. Thomas ist heute für Andys Navigation zuständig und geht knapp vor ihm den leicht ansteigenden, mit einzelnen Steinblöcken gezierten, Wiesenhang hoch. Nach kurzer Zeit müssen sie ein Bachbett überqueren. Wenig später ein zweites, viel breiteres, das mit laut tosendem Gewässer droht. Andys Ohren melden ihm Alarmstufe ORANGE und Thomas hat einiges zu tun, Andy ohne Wasserkontakt, mit einigen Sprüngen zwischen den im Fluss liegenden Steinen zu bewegen.
Nach diesen Hürden glauben sie die Schlüsselstellen des Zustiegs hinter sich. Aber weit gefehlt, das Gelände wird nun viel steiler und vor allem blockiger. Nachdem die ersten Schlüsselstellen im Zustieg gemeistert sind, geht es weiter durch schwieriges Terrain mit 10 bis 30 cm breiten Ritzen, die besonders Andy Holzer als blindem Bergsteiger zum Verhängnis werden können. Nach zwei Stunden Morgensport ist die Seilschaft an der Basis der Südostwand angelangt. Die angedachte Linie erweist sich als viel steiler, als sie von unten aussah. Der weit überhängende Kamin mit anschließendem Riss, der sich nach 2 oder 3 Seillängen geneigtem Fels über der Truppe auftut, ist keine Sache für Andy und so beschließt das Kletter-Team eine alternative Route, etwas weiter rechts vom Zentralpfeiler einzuschlagen.
Eine gemeinsame Vorgabe
Zwar haben die Jungs mit Daniel, der diesen Schwierigkeiten sicherlich gewachsen gewesen wäre und Andi Nothdurfter sogar zwei Bergführer im Team, aber die gemeinsame Vorgabe ist Andys Einschränkung. Die Route soll auch für ihn halbwegs frei kletterbar bleiben und so wäre es kein Erfolg gewesen, wenn sich der blind climber an der Steigklemme hocharbeitet. Durch die besonderen Lichtverhältnisse in Grönland können sich auch die sehenden Mitglieder der Gruppe nicht auf Ihre Augen verlassen. Daniel und Andi klettern als Zweier-Seilschaft voraus und richten den Standplatz an der zweiten Seillänge rasch ein. Die Dreier-Seilschaft mit Andy, Ulli und Thomas folgt mühelos. Als Mitglieder der österreichischen Bergrettung haben Daniel, Andi, Uli und Thomas an alles gedacht. Die Standplätze wollen die Jungs mit jeweils zwei Bohrhaken und die sehr schwierigen Stellen mit einem Bohrhaken absichern, um das Risiko so gering wie möglich zu halten. Die Route sichern sie neben den Bohrhaken mit zahlreichen normalen Haken und mobilen Geräten ab.
So geht es aufwärts Seillänge um Seillänge – bis SALEWA Athlet Daniel Kopp die erste Schlüsselstelle erreicht. Eine heikle Querung nach links, der eine extrem ausgesetzte, glatte Steilkante auf einen Absatz folgt, von dem er absteigend-querend zu einem Standplatz kommt.
In der fünften Länge werden die fünf von einem grandiosen Piazriss belohnt und die sechste Seillänge hält Verschneidungsklettereien mit einer glatten Platte bereit.
Dann wartet die nächste Schlüsselstelle auf Andi, der nun die Führung der ersten Seilschaft übernommen hat. Da die Jungs zu wenig Bohrhaken einkalkuliert haben, überwindet Andi eine heikle Ritze mit einem Normalhaken und meistert so die Schlüsselstelle, die sie hinterher mit Schwierigkeitsgrad VII bewerten. Die Fehlkalkulation der Menge an Bohrhaken bringt schnell die Erkenntnis, dass es für den ersten Klettertag nun wirklich gut und genug sei.
Relativ flott laufen die Abseilmanöver durch die Wand und auch der Abstieg ins Camp, bei dem Daniel Andy geduldig über die Blöcke lenkt, ist nach gut eineinhalb Stunden geschafft.
Anlauf ins Unbekannte
Nach einem Rasttag startet der zweite Anlauf ins Unbekannte. Andi ist nun Vorausmann für Andy und Thomas und Daniel erkunden einen besseren Zustiegsweg, diesmal viel weiter rechts, über den Andy wesentlich kraftsparender in nur 90 Minuten den Einstieg erreicht. Die Seilschaften werden neu gemischt. Uli und Thomas starten, dahinter folgen Daniel, Andi und Andy. Sehr zügig geht es die bekannten sechs Seillängen hoch und Thomas beendet als Erster die Schlüssellänge, nach der sich die Wand nun leicht zurück legt.
Herrliche Kletterei in extrem kompaktem grauem Granit – so lautet das Fazit. Nach weiteren zwei Seillängen sind alle am Gratansatz angekommen und der bombenfeste Granit der letzten Stunden wird von brüchigem Blockgrat abgelöst. Andi geht mit Andy am kurzen Seil, Daniel steigt zur Erkundung alleine vor und Thomas und Uli folgen den Dreien.
Noch eine Seillänge im vierten Grad und wieder ein flaches, für Andy lästiges, Gratstück folgen. Jetzt haben die Tiroler Kletterfreunde wieder einen Punkt erreicht, an dem sich die sehenden Jungs trotz acht junger, gut funktionierender Augen in den Dimensionen der arktischen Felsenwelt glatt täuschen.
Gipfelglück?
Eine ganze Weile wird hier am späten Nachmittag darüber diskutiert, ob es überhaupt Sinn macht, den Hauptgipfel des Berges über diesen langen, gefährlichen, brüchigen Grat zu ersteigen.
Der Rückweg ist zu bedenken und eigentlich ist das Ziel, der Gipfel des Mittelpfeilers, der „Großen Zinne“, wie Thomas sie nennt, sowieso schon erreicht.
Daniel, der noch ca. 30 Meter weiter steigt, schätzt die Entfernung nun näher ein. Thomas, der sich das auch ansehen will , kommt nach wenigen Minuten zurück und teilt Daniels Meinung, dass der Gipfel von dort vorne viel näher erscheint.
Die Jungs beschließen es zu versuchen. Noch eine kurze Abseilstelle, ein scharfer sehr brüchiger Grat und Thomas steigt in die nächste Seillänge ein. 25 Meter weiter oben sieht Daniel, dass die Dimensionen trügerisch waren. Tatsächlich stehen alle fünf nur wenige Minuten später am Hauptgipfel und sind damit die wohl ersten Menschen überhaupt, die diesen schönen Berg ersteigen durften. Andy Holzer beschreibt das Erfolgserlebnis so: „Nicht weil wir stärker oder cooler als andere sind, nein, ich glaube, die Grönländer haben anderes zu tun, als diese Felszacken zu besteigen, und für Kletterer aus aller Welt ist es eigentlich nur ein Zufall, an solche Ziele zu gelangen.“
Der Rundblick ist umwerfend. Vom Eispanzer des mächtigen Inlandeises im Westen geht der Blick über Norden nach Nordosten, wo unzählige „kleine Matterhörner“ den Horizont zieren. Im Osten ist die Grenze zwischen Himmel und Meer nicht auszumachen.
Bis 18.00 Uhr geniessen die Jungs im T-shirt die warme Sonne des Nordens bis sie sich für den langen Abstieg bereit machen.
Ziemlich problemlos gelingt ihnen der brüchige Grat, der eigentlich nur für Andy ohne Augenlicht so schwierig war. Daniel hat Andy am kurzen Seil und Andi geht knapp davor, so dass Andy an Hand seiner Trittgeräusche den wackligen Untergrund analysieren kann.
Bei den Abseilstellen angekommen geht alles recht flott. Gegen Mitternacht laufen Andi, Daniel, Thomas Uli und Andy müde aber überglücklich im Basislager ein und und lassen sich das Summit-Gericht, das Thomas noch kocht, schmecken.
Als etwas vom Schwierigsten der Reise gestaltet sich die Namensfindung für die Route. Nach langem hin und her einigen sich die Tiroler Kletterer auf „Kalaallit Nunaat“, wie Grönland auf Grönländisch heißt. Auf deutsch bedeutet das „Land der Menschen“ und alle sind sich einig, dass dieser Begriff sowohl zur Route als auch zur ganzen Reise passt.
Sicherlich werden sich die fünf noch oft an die Grönland-Erfahrung erinnern. Blind climber Andy Holzer fasst es so zusammen: „Eine Reise mit Freunden, die ein weiterer Beweis ist, wie schön es sein kann, Stärken und Schwächen zu mixen und damit eine neue Qualität von Lebensfreude zu kreieren“.
Vielen Dank an Andy Holzer für die Inhalte zu diesem Bericht.