Die Pinnisalm im Stubaital zählt zu den wohl bekanntesten Eisklettergebieten Tirols. Die meisten Linien wie „Männer ohne Nerven“, „Land im Strome“, „Vorhang“, „Himmelsleiter“, „Metamorphose“, „Magier“, „Comet“, „Kerze“ und „Rumpelkammer“ wurden von keinem geringeren als Andi Orgler und Partnern in den 80er Jahren und Anfang der 90er Jahre erstbegangen. Es sind Routen, die bis heute ihren Nimbus bewahren konnten. Dies vor allem deswegen, weil sie (wenn überhaupt) mit Normalhaken abgesichert wurden und bis heute „abenteuerlich“ geblieben sind. Eine Ethik, die uns gefällt und uns als Orientierung für unser eigenes Tun dient.
Am 08. Februar 2021 spuren Martin Sieberer und Simon Messner durch den frisch gefallenen Neuschnee in das Pinnistal. Ihr Vorhaben: eine der letzten logischen Linien im Sektor „Amphitheater“ zu versuchen welche rechts des Eisfalls „Eiszeit“ und links der „Himmelsleiter“ emporzieht.
Die erste Seillänge folgt einem überhängenden und sehr splittrigen Riss nach rechts bis man Eis erreicht. Diesen brüchigen Felsteil konnten die beiden Kletterer im ersten Versuch technisch klettern (A2-A3) aber an eine freie Begehung dachten sie dabei noch nicht: zu brüchig und kaum vertretbar abzusichern! Aber der Felsteil war geschafft, nun ging es um die zweite Seillänge. Da es sehr warm war und das Eis folglich unterspült, wurde diese Seillänge zu einem Nervenspiel. Martin stieg über weiches, schlechtes Eis aufwärts bis er eine dünne Eisglasur erreichte – die einzige Hoffnung nach oben. Doch schon beim ersten Schlag mit dem Eisgerät brach die Glasur ab. Martin stand nun vor einem steilen und glatten Felsaufschwung. War´s das mit dem Erstbegehungsvorhaben?
Nein! … Martin nahm all seinen Mut und sein Können in die Hand und kletterte im Fels (und ohne Sicherungsmöglichkeit) nach oben bis er erneut Eis erreichte (WI7-). Der „Mikro-Hook“, den Martin zuvor mit ganzem Gewicht belastet hatte, bröckelte Simon im Nachstieg entgegen nachdem auch er diesen Hook benutzt hatte… Der „Eremit“ (Einsiedler) war gemeistert, nun musste er aber noch „befreit“ werden.
Genau eine Woche später, am 15.02.21, kamen Martin und Simon wieder um einen ersten Freikletterversuch zu unternehmen. Beim Auto hatte es 13° Minus – nicht die besten Voraussetzungen um eine so steile (und brüchige) Mixed-Linie frei zu klettern. Aber „wer nicht versucht, der nicht gewinnt“… also stiegen die beiden ein. Nachdem Simon den Felsteil erneut teils technisch geklettert war und die essenziellen Placements in der Route belassen hatte, unternahm Martin einen ersten Versuch. Es glückte ihm und im Anschluss auch Simon diese Seillänge frei zu klettern (M9-, trad). Heraus kam eine „logische“ Eis- und Mixed-Linien im besten Stil. Bis auf zwei Haken und einen Pecker ist die gesamte Route im Trad-Stil selbst abzusichern (M9-, WI7-, R).
Die Erstbegeher würden sich wünschen, dass die Linie im Originalzustand bleibt (also trad und bohrhakenfrei!). Die Route wurde in diesem Stil eröffnet und folglich sollte sie auch so bleiben.
Martin Sieberer & Simon Messner
Anmerkung: Am selben Tag an dem Martin und Simon ihre Route „Eremit“ frei klettern konnten, gelang ihnen eine seltene (vielleicht sogar die 1. freie?) Begehung der Route „Comet“ (WI7-, M7), von Andi Orgler 1991 erstbegangen (und damals als M8, WI6 bewertet). Den Kletterern ist nur eine Begehung durch Michi Wärthl bekannt welche teilweise technisch erfolgte.
Webtipp: Simon Messner