Via Ferrata Yanshan
01 Januar 2016

Der Osten ist Rot – Klettersteiggehen in Peking

Klettersteiggehen im Land der aufgehenden Sonne ...

Peking, da denkt man an die Verbotene Stadt, den Platz des Himmlischen Friedens oder an kaiserliche Grabanlagen. Doch nördlich der 20-Millionen-Metropole haben ein paar Klettersteigfans den ersten Eisenweg Chinas eröffnet, der beeindruckende Abwechslung von den üblichen Reiseerfahrungen rund um die chinesische Hauptstadt bietet. Thomas Fahrnholz hat den Klettersteig besucht und zwei passionierte Bergsteiger entdeckt, die hier ihren Traum verwirklichen. 

Auch an dem Riesenland China mit seinen 1,3 Milliarden potentiellen Konsumenten ist der Outdoorboom nicht vorübergegangen. Besonders in Peking hat sich eine aktive Bergsportszene entwickelt. Kein Wunder: wer schon einmal dort war weiß, dass die chinesische Hauptstadt an drei Seiten von Bergen umgeben ist die sich auf bis zu 2300 Meter aufschwingen.

Doch China fehlt eine Tradition des Breitensports und Qingqing, die nördlich von Peking den ersten Klettersteig Chinas eingerichtet hat, beklagt: "Im chinesischen Sportsystem ist alles auf Olympische Medaillen ausgerichtet und falls sich keine Goldmedaillen oder angesehene Weltrekorde erringen lassen, gibt es kein Interesse von offiziellen Verbänden". Fehlende Informationen wie Karten oder Führer bremsen nicht nur die Entwicklung der Bergsportarten sondern macht es auch für Besucher schwierig, diese Angebote zu nutzen. Dabei eröffnen die Pekinger Berge jedem Touristen Einblick in eine eigene, wildromantische Landschaft. Umso erfreulicher ist es, dass seit 2011 drei hervorragend eingerichtete, moderne Sportklettersteige in den Pekinger Bergen für Besucher offen stehen.

Qingqing  und Jian Feng sahen 2009 zum ersten Mal Fotos der Via Ferrata de Roc de Toviere im Val d'Isere und begingen genau diesen Klettersteig noch im gleichen Jahr als ihr Debüt. Nach zwei Jahren der Suche nach einem Standort, den behördlichen Genehmigungen, den Verhandlungen mit Prisme S.A. aus Frankreich, die die gesamte technische Konstruktion übernahmen, und anderen Hürden konnte das Paar 2011 schließlich die erste Via Ferrata Chinas eröffnen, die nach dem nahen Schwalbenberg Via Ferrata Yanshan getauft wurde. Und seitdem haben Jian Feng und Qingqing noch zwei weitere Eisentouren in den Provinzen Yunnan und Shaanxi nachgelegt.  

Wir hatten den Park bereits vorher besucht und werden am Parkplatz herzlich empfangen. Da beide Chinesisch, Französisch und Englisch sprechen, ist die Verständigung kein Problem. Nach zwei Stunden Fahrt aus den Gassen im Herzen der Pekinger Altstadt durch die Hochhaussiedlungen und Industrieparks der Vorstädte und vorbei an der Großen Mauer wärmen wir uns in der Sonne dieses Frühherbsttages und werden von Kopf bis Fuß mit Hüft- und Brustgurt, Klettersteigset und Helm ausgestattet.

Die meisten Besucher sind Tagesausflügler oder auch Betriebsgruppen auf Teambuilding ohne jede Bergerfahrung, daher wird Sicherheit groß geschrieben. Alle Gurte, Klettersteig-Sets und andere Schlosserei stammen von Petzl oder Black Diamond und die Betreiber achten strengstens auf ihren Zustand. Die einzelnen Klettersteige wurden entsprechend den AFIT-Richtlinien eingerichtet. Und obwohl wir bereits mehrfach zu Besuch waren und alpine Klettererfahrung mitbringen, erfolgt unsere Einführung ebenso gewissenhaft wie bei jedem anderen Besucher. Erst nach gründlicher Einweisung und einer Probetour entscheiden die Führer vor Ort, ob man in die sportlicheren Routen einsteigen darf. Für Jian Feng hat die Unerfahrenheit der meisten Besucher aber auch eine gute Seite. Am Einstieg zur Trainingsroute, die ohne Absperrung gleich am Parkplatz beginnt, deutet er auf eine Familie, die auf dem ersten Stahlbügel für Fotos posiert. "Die meisten haben so etwas noch nie gemacht und sind sehr sicherheitsbewusst. Niemand kommt auf die Idee, so eine Route ohne Einweisung auszuprobieren."

Nachdem der Eingangstest absolviert ist, geht es gemeinsam mit einem Führer kurz hinauf zum Tianchi, zum "Himmlischen See", den man im deutschsprachigen Raum wohl eher als Teich bezeichnen würde. Gleich neben dem idyllisch gelegenen Felsbecken liegt der Einstieg zur mäßig schwierigen Route "Challenge Wentao Valley". Sie dient auch als Übergang zu zwei deutlich schwierigeren Wegen. Wir haben uns heute die leichte und mittlere Variante vorgenommen und steigen hinter einer anderen Familie in die ersten Stahlseile ein. Auch sie hatten keine vorbereitende Klettersteigerfahrung und haben an dem kleinen Steig am Parkplatz die wichtigsten Handgriffe erlernt.

Die Planer haben den Besuchern gleich zu Beginn einen Bonbon beschert: direkt über dem Wasser schwingt sich der mit viel Eisen angelegte Steig empor und lässt die normalen Ausflügler hinter sich. Ich freue mich über den Felskontakt und die Abgeschiedenheit in der Natur, seltener Luxus für Bewohner einer boomenden Stadt, die sich voll auf die Moderne konzentriert. Über mehrere Felsstufen hinweg steigen wir an traumhaftem, glatt ausgewaschenem Granit das kleine Tal hinauf, immer perfekt gesichert. Eine knappe Stunde braucht unsere kleine "Seilschaft" - zuletzt neben einem Wasserfall entlang Höhe gewinnend - bevor wir eine Abzweigung erreichen. Links geht es auf einer Drei-Seilbrücke über den Wasserfall hinweg zu den anspruchsvolleren Routen. Doch am Vormittag folgen wir zunächst dem Eisen weiter die Wand entlang nach oben und zur deutlich längeren Drei-Seil-Brücke (oder tibetische Brücke) die den Ausstieg der Wentao Valley Challenge bildet.

Essen ist in China ein elementarer Bestandteil eines jeden Ausflugs und so lohnt es sich, wieder kurz abzusteigen, um sich in einem der Restaurants an der Hauptstraße zu stärken. Den Weg dorthin kann man abkürzen, indem man einen Bunker des Rundfunkministeriums durchschreitet, der im kalten Krieg quer durch den Fels getrieben wurde. Für diese Erfahrung zahlt man gerne den kleinen Obulus, den der Führer durch den Bunker erbittet.

Einfache chinesische Hausmacherkost steht auf der Karte des Restaurants. Natürlich bekommt man auch Bier oder Baijiu - den legendären chinesischen Schnaps. Doch wir haben uns für den Nachmittag noch etwas vorgenommen und somit müssen wir die Einladung des Restaurantbesitzers auf ein paar Gläser dankend ablehnen.

Frisch gestärkt nehmen wir im Anschluss eine der beiden schwierigeren Routen in Angriff, nämlich die Baizhang Cliff Challenge. Von der ersten Seilbrücke geht es entweder steil aus dem Tal bergauf und wieder an perfekt platzierten Stahlleitern und nach neuesten Sicherheitserkenntnissen verankerten Seilen entlang. Eine Route ist als extrem schwierig gekennzeichnet und hat es tatsächlich in sich. Die Crux liegt in einem etwa drei Meter ausladenden Überhang an dem man seinen Bizeps testen kann. Doch überall findet man Stahlbügel und -griffe, so dass man nicht aus Angst ins Schwitzen kommt sondern eher von der Sonne am nun südseitig ausgerichteten Fels. Nach ca. eineinhalb Stunden erreicht man den Ausstieg und steht auf einem kleinen Gipfel, der einen wunderbaren Rundumblick auf die umgebenden Berge, die Schwalbenberge, erlaubt. 

Wir wollen heute aber von der Seilbrücke aus rechts eine andere Variante ausprobieren und wir sollen es nicht bereuen. Das Seil und die Trittstifte führen an einer herrlich ausgesetzten Platte entlang die noch einmal einen besonderen Ausblick auf die umgebende Landschaft bietet. Auch diese Route erfordert Kraft, selbst wenn man sich nicht durch einen Überhang ziehen muss. Zum Ende schwenkt der Weg noch einmal steil nach oben und wir gelangen auf den bereits angesprochenen Gipfelkopf. Man staunt über die schroffen Gipfel und die unglaubliche Verteidigungsanlage der Chinesische Mauer, die nur ein paar Kilometer südlich verläuft. So kostbar waren die Schätze in der nahen Hauptstadt und so einladend die fruchtbaren Böden der südlich gelegenen Schwemmebene des Gelben Flusses, dass selbst hier noch verteidigt werden musste.

Gemeinsam mit dem Führer machen wir uns an den Abstieg zurück zum Parkeingang. Er berichtet uns von seinem Studium des "Outdoor Managements“: "Ich bin froh, dass ich die Gelegenheit habe, hier zu arbeiten. Der Outdoorbereich ist eine relativ neue Aktivität in China. An der Uni lernen wir viel Theorie aber wenige von uns haben ausreichend praktische Erfahrungen. Da ist der Yanshan Park mit Hochseilgarten, Hiking, Klettersteigen und Sportklettertouren eine Möglichkeit mein Wissen zu erweitern." An der Materialhütte treffen wir Jian Feng und Qingqing wieder, als wir unsere Gurte und Helme abgeben. Die beiden überreden uns, noch eine Nacht in den Bergen zu bleiben anstatt sofort in die Millionen-Metropole mit ihren Ringautobahnen und Hochhäusern zurückzufahren.

Ein Tal östlich liegt der Baihe - der Weiße Fluss - mit vielen Gasthäusern für Ausflügler. In den Steilwänden, die das Tal begrenzen, finden sich tief eingeschnittene Schluchten mit klangvollen Namen wie Schwarzdrachencanyon, Traumwolkenschlucht oder das Bienental mit einer Reihe von perfekt eingebohrten Sportkletterrouten, an denen wir bereits viele Wochenenden verbracht haben. In einem einfachen Bauernhaus kehren wir für die Nacht ein und genießen noch ein Bier der Marke Yanjing „Schwalbenmetropole“ – eine altertümliche Bezeichnung für Peking – und damit ein passender Ausklang für diesen Tag in den Schwalbenbergen.

Infos:

Zum Autor: Thomas Fahrnholz lebt seit mehr als sieben Jahren in Peking. Hier nutzt er seine Freizeit zu Wander- und Kletterausflügen in die Bergwelt und zu Motorradtouren in die unerschlossenen Gebiete Chinas. Für Fragen steht er unter info@fahrnholz.eu zur Verfügung.

Anreise: Die Via Ferrata Yanshan liegt ca. 70 km nördlich von Peking. Die Anfahrt führt über den Jingcheng Expressway (京承高速, G45), Ausfahrt 15 in Huairou (怀柔) und anschließend die Fernstraße G111. Der Parkplatz für den Tianchi (天池) ist ausgeschildert und hier befindet sich der Einstieg für die Klettersteige. Der Park ist nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Man kann allerdings mit öffentlichen Bussen der Linie 936 vom Bus- und U-Bahnhof Houshayu in Peking nach Huairou fahren und vor Ort Fahrer finden, die einen zum Park bringen und dort auch warten. Die Betreiber des Yanshan Via Ferrata können den Transport vom Hotel in Peking aus organisieren und bieten eine Reihe von interessanten Erlebnispaketen für Besucher an.

Preise: ca. 500 RMB (70 EUR) pro Person, eigener Führer für Gruppen bis 5 Personen ca. 300 RMB (42 EUR)

Telefonnummer: +8613436961329

Webseitewww.feilada.com oder www.viaferratachina.com

Man betritt einen geschlossenen Park und muss Eintritt für die Via Ferrata Yanshan bezahlen.
Via Ferrata Yanshan
Qing Qing, ein Energiebündel und die gute Seele der Yanshan Via Ferrata...
...und ihr Mann Jian Feng, der gerade einen Neueinsteiger bei seinen ersten Schritten begutachtet.
Der himmlische See, der gleich am Einstieg zu den eigentlichen Klettersteigen liegt.
Auch in China geht es nicht ohne Formulare...
... bevor man seine Ausrüstung bekommt.
Zu Beginn steigt man - noch im Schatten - am See entlang...
und kommt schließlich an diese plattige Wand, von wo es dann bergauf geht.
Der Blick zurück zum Einstieg des himmlischen Sees.
An steilen Stellen wurde viel Eisen verbaut, für diese Via Ferrata.
Die erste der beiden Seilbrücken. Diese Brücke bildet den Übergang zu den beiden schwereren Routen.
Hier wird es noch einmal luftig und man sollte schon schwindelfrei sein, wenn man diese Klettersteige angeht.
Aber die Konstrukteure haben auf ausreichend Sicherungen und Halte geachtet.
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