Fährt man die Mautstraße von Misurina zur Auronzohütte und spaziert dann mit den Menschenmassen zum Paternsattel hinauf, so weiß man wieso die Drei Zinnen zum Statussymbol der Dolomiten herangewachsen sind. Freistehend und imposant ragen sie über der Hochebene empor und begeistern Touristen und Kletterer immer wieder aufs Neue.
Unzählige Routen führen über alle Seiten zu den mehr als nur drei Gipfeln hinauf, wo seit fast 150 Jahren Klettergeschichte geschrieben wird. Von den Erstbesteigungen, zu den Erschließungen der Kanten und Grate, über die Direttissima bis in das Zeitalter des modernen Sportkletterns - die Zinnen haben so alles miterlebt, was die Köpfe der Kletterer als für richtig empfunden haben.
Spricht man nun im Jahr 2016 über eine mögliche neue Route an den Zinnen, werden die meisten Kletterer den Kopf schütteln und sagen, ob es wohl sein müsse, seine Bohrhaken irgendwo reinzuquetschen. Man muss aber nicht immer weit weg schauen und in die Ferne schweifen, um unberührtes und abenteuerliches Gelände zu finden. Simon und ich sind schon oft an den Drei Zinnen klettern gegangen und einige Male in den Genuss gekommen die weltberühmte „Comici“ an der Großen Zinne Nordwand führen zu dürfen. Immer wieder haben wir in den Wandbereich rechts der Comici geschaut und uns gefragt, ob dort wohl keine Route vorbeiführen würde. Im unteren rechten Teil konnte man jahrzehntelang Fixseile erkennen, wo die aber hinführen würden, konnte uns keiner beantworten.
Bei einer gemeinsamen Klettertour sind wir im Laufe unserer Gespräche draufgekommen, dass wir eigentlich beide daran interessiert wären, uns diesen Wandbereich mal näher anzuschauen und so gingen wir im Herbst 2015 zu ersten Mal hin. Ziel war also nach dem Comici-Vorbau, sich gerade nach oben zu versuchen. Mit einem guten Hammer, einer Serie Schlaghaken und Friends ging es zwar langsam aber stetig immer höher. Hie und da mussten wir auf etwas brüchige Bereiche besonders Acht geben, doch immer wieder überraschte uns die Wand mit Leisten, Löcher, Querspalten und richtig kompaktem Fels. Anhaltend steil, wie man es in den Zinnen gewohnt ist, ging es Seillänge für Seillänge weiter. Irgendwann machten wir bei einem Band Stand, wo ca. zehn Meter weiter rechts, wie gespenstisch, die alten Fixseile aus einem Direttissima-Versuch der 80er Jahre hangen. Doch der logische Weg führte über einen Riss nach links, bis wir den kompaktesten Teil der Wand erreichten. Einen ganzen Tag brauchte es nun um die Schlüssellänge der Tour zu eröffnen. An schnelles Vorkommen war nicht zu denken, zu klein und geschlossen waren oft die Risse für unser Material. Die beißende Kälte an den Fingern und Füßen der letzten Herbsttage machte sich auch schon bemerkbar und so beschloßen wir den Weiterweg unseres Projektes erst im nächsten Frühjahr fortzusetzen. Ende Mai spurten wir als erste unter die Nordwände wieder zum Einstieg rüber. Aus allen Löchern und Rissen tropfte es und die Wände sahen richtig ungemütlich aus. Über unsere fixierten Seile jümerten wir wieder zum letzten Stand rauf und los ging’s. Nun galt es das große Dach zu überwinden. Kleine Risse und Verschneidungen führten uns nach rechts und in einem Bogen erreichten wir schlussendlich das Dach. Eine breite Querleiste erleichterte uns das Hinausqueren auf den ausgesetztesten Stand der ganzen Tour. Über dreihundert Meter Luft unterm Hintern lässt glaub ich jeden Kletterer immer wieder aufs Neue die Exponiertheit spüren. Nun hatten wir es fast geschafft – der schwierigste Teil lag mit Sicherheit hinter uns! Schöner schwarzer Fels, der zwar weniger steil war als zuvor, aber dafür umso kompakter, zeigte uns den logischsten Weg nach oben. Im Klettergarten wären das richtige Genußlängen dachten wir uns und doch musste man wieder gut auf die Halbseiltechnik achten um die Reibung gering zu halten.
Bildergalerie "Das Erbe der Väter"
Der achte Tag, den uns die Tour abverlangte, sollte auch der letzte sein. Ein paar leichte Seillängen und dann konnten wir am Ringband stehen. Schnell das Material zusammengepackt und weiter ging es die letzten Meter bis zum Gipfel hinauf. Gewaltig! Eine neue, komplett eigenständige Route in der Großen Zinne Nordwand, mit traditionellen Mitteln eröffnet, lag jetzt hinter uns! Nun saßen wir in der Sonne neben dem Kreuz und ließen unsere Gedanken an die Hammerschläge, den Geruch nach Schwefel und die Momente der Angst und Unsicherheit zurückschweifen… ein Gefühl der Bescheidenheit gegenüber den Leistungen der bereits verstorbenen Erstbegeher früherer Zeiten hüllte uns ein.. fast kitschig aber irgendwie real… das Erbe der Väter.
Facts:
Große Zinne Nordwand
- „Das Erbe der Väter“
- Schwierigkeit: 7b+
- Erstbegangen durch Simon Gietl und Vittorio Messini in 8 Tagen zwischen Herbst 2015 und Frühjahr 2016
- Erste Rotpunkt: Simon Gietl mit Andrea Oberbacher, August 2016
- Absicherung: mäßig bis gut mit Schlaghaken
- Material: zwei Sätze Friends und Keile, evtl. Hammer und einige Haken