Ich nehme meinen Rucksack ab, stelle ihn vor mich in den Schnee und nehme einen Müsliriegel und meine Trinkflasche raus. Der Riegel schmeckt mir nicht. In zwei Bissen würge ich ihn hinunter und mit einem Schluck Wasser spüle ich den ekelhaften Nachgeschmack weg. Dreieinhalb Stunden bin ich jetzt schon unterwegs. Normalerweise brauche ich für diese Strecke eineinhalb Stunden, aber bei so viel Schnee – andauernd breche ich bis zu den Knien ein – wird jeder Schritt zur Qual.
Gewaltige Kulisse
Ich setze mich auf meinen Rucksack und überlege was ich jetzt machen soll. Eine Erstbegehung an der Schrammacher Nordwand erscheint mir heute unmöglich. Zu Zweit vielleicht, aber ich bin alleine unterwegs, muss alles selbst spuren und darf mir keine Fehler leisten. Zehn Minuten sitze ich ganz ruhig da, genieße die Stille und das klare Licht, das die Wände vor mir langsam in ein kühles Blau taucht. Ich schaue mich ein wenig um: Fußstein, Schrammacher, Sagwand. Die Kulisse ist gewaltig, einschüchternd und motivierend zugleich.
Noch immer habe ich keine Idee, was ich jetzt, nachdem ich den Schrammacher aufgegeben habe, machen soll. Mein Blick schweift weiter nach rechts entlang des Grates, der die Sagwand mit der Hohen Kirche verbindet und fällt auf eine markante Linie. Zuerst eine Eiswand, dann ein langes Schneefeld und dann eine steile Wand, die nach vielleicht 200m oder 250m in leichteres, kombiniertes Gelände führt.
Das sieht spannend aus, denke ich mir und nach einer halben Stunde stehe ich unter dem ersten Eisaufschwung. Eine dünne Glasur überdeckt glatte Granitplatten. Das Eis ist hart und spröde, aber ich komme trotzdem gut voran. Auch das Schneefeld bringe ich schnell hinter mich und um kurz vor acht Uhr in der Früh bin ich unter der 200m Wand.
Spindrift
Ich nehme mir Zeit um die leichteste Linie zu finden. Der direkte Einstieg sieht schwer und brüchig aus. Außerdem kommt genau dort der ganze Spindrift herunter. Etwas weiter links gäbe es vielleicht auch noch eine Möglichkeit, aber auch das sieht zu schwer aus um es alleine zu versuchen. Noch weiter links vielleicht. Zuerst müsste man entlang von großen Schuppen in eine lange Verschneidung klettern. Diese würde einen dann in eine andere Verschneidung führen, von der man ein Pendelquergang nach rechts in eine Eisspur machen müsste. Das könnte funktionieren...
Die großen Schuppen lassen sich gut klettern. Den Übergang in die lange Verschneidung klettere ich technisch und auch die Stellen bis zum Pendelquergang bringe ich in technischer Kletterei hinter mich. Ich bin zwar solo unterwegs, sichere mich aber in den anspruchsvollen Längen selbst, indem ich das Seil jeweils am Standplatz fixiere und mir immer wieder 10 Meter Schlappseil ausgebe, das ich während dem Klettern in
Zwischensicherungen einhänge. Am nächsten Stand angekommen seile ich mich dann wieder hinunter um die Placements zu holen.
Die Kletterei ist fantastisch und erinnert mich immer wieder an Klassiker in Chamonix. Für den Pendler opfere ich einen Friend und einen Keil. Darauf folgt eine Seillänge zuerst im kombinierten Gelände und dann über eine dünne Eisglasur und dann noch zwei anspruchsvolle Mixed-Seillängen. Jetzt habe ich den schwersten Teil hinter mir und über Schneeflanken und kombiniertes Gelände gelange ich nach über zehn Stunden endlich auf den Gipfel.
Text und Fotos: David Lama
Routeninfos Badlands
Ort: Valsertal/Tirol; Unbenannter Gipfel auf Grat zwischen Sagwand und Hoher Kirche
Erstbegeheher: David Lama 30.3.2012 im Alleingang
Routenlänge: 700m
Schwierigkeit: 6a M5 WI4 A1);
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