»Action Directe« 9a | Waldkopf, Frankenjura
Nein, der Name ist keine Widmung an die französische Untergrundorganisation aus den 1980er-Jahren. Er bedeutet vielmehr, dass diese Route ein buchstäblicher Terroranschlag auf Finger, Ringbänder und Sehnen ist. Und damit, dass jeder einzelne Move eine „Action Directe“ sein muss – wer nur eine Sekunde zögert, hat bereits verloren! Wolfgang Güllich zögerte nicht – und Jan Hojer auch nicht.
Ende der 1980er-Jahre hatte Milan Sykora auf einem seiner Streifzüge durch die fränkischen Wälder den Waldkopf entdeckt und eine kletterbare Möglichkeit durch die pralle, 40 Grad überhängende Wand visualisiert. Er bohrte sie ein, musste aber bald feststellen, dass die Linie zwar kletterbar ist, aber nicht für ihn – viel zu schwer! Aber da war sein Freund, Wolfgang Güllich, der nach einigen Jahren an den Bergen der Welt nach langem, harten Wintertraining am Campusboard wieder zu seiner Kletter-Höchstform fand. Ihm zeigte Milan seine Linie, und Wolfgang war schon nach dem ersten Augenschein fasziniert. Nach elf Klettertagen, verteilt auf zehn Wochen im Sommer 1991, schaffte Wolfgang am 14. September schliesslich den Durchstieg: knallharte zwölf boulderlastige Kletterzüge mit 70 Sekunden Maximalbelastung für den Körper – „Action Directe“!
Doch wie schwer war diese Route? 1984 hatte Güllich mit „Kanal im Rücken“ die erste X, 1985 mit „Punks in the Gym“ die erste X+ und 1987 mit „Wallstreet“ die erste XI– weltweit geklettert. Und nun »Action Directe« – Er wagte es und gab den Bewertungsvorschlag XI ab. Und er sollte Recht behalten: Es dauerte vier Jahre, bis die erste Wiederholung von »Action Directe« gelang, und viele der besten Kletterer der Welt scheiterten bei ihren Versuchen, die kompromisslosen Züge in der weit überhängenden Wand aneinanderzureihen.
Am 31. August 1992 erlag Wolfgang Güllich seinen Verletzungen nach einem Autounfall. Die Kletterszene verlor eine faszinierende Persönlichkeit, die über mehr als zehn Jahre den Klettersport geprägt und weiterentwickelt hatte.
Im gleichen Jahr erblickte Jan Hojer das Licht der Welt. 2010 gelang dem Mammut Pro Team-Athleten nach neun Tagen die erst zwölfte Begehung von „Action Directe“. Hojer war damals 18 Jahre alt. Für das Projekt „Reclimbing the Classics“ des Schweizer Bergsportherstellers Mammut kehrte er erneut zurück und traf dort auf den Fotografen Gerd Heidorn, der schon den Erstbegeher Güllich in der Route fotografiert hatte.
Interview mit Mammut Pro Jan Hojer
Wie würdest du Action Directe charakterisieren? Vor allem im Vergleich zu den derzeit »aktuellen« schweren Routen?
»Action Directe« ist, typisch für die Kletterei im Frankenjura: sehr löchrig, boulderig und vergleichsweise kurz. Im Gegensatz zu den meisten anderen Routen im XI. Grad ist die Schwierigkeit der Route auf zirka 15 Züge verteilt, und wer nicht an die fränkische Lochkletterei gewöhnt ist, wird vermutlich Probleme mit all den Ein- und Zweifingerlöchern haben.
Wolfgang hatte »Action« mit »XI« bewertet, was etwa 8c+/9a bedeuten würde; was meinst du dazu?
Als Wolfgang die Route 1991 erstbegangen hatte, gab es noch keine Routen in diesem Schwierigkeitsbereich, weshalb auch über den Grad der Route viel spekuliert wurde. Letztendlich hat man sich damals auf XI geeinigt. Heute gibt es schon viele Routen in dieser Schwierigkeit, doch »Action« wird immer noch als »sehr solide« 9a gehandelt!
Du hast die Route vor vier Jahren im Alter von 18 Jahren geklettert; was hat die Wiederholung der »Action« für Dich persönlich bedeutet?
Für mich persönlich war es schon immer ein Traum, diese Route zu durchsteigen. Schon mit 13 Jahren stand ich am Waldkopf unter »Action Directe«, damals um »Slimline« (X–) zu versuchen. Da ich früher fast meine gesamten Schulferien in der Fränkischen verbracht habe, und »Action« damals als schwierigste Route des Frankenjuras galt, kam ich nicht daran vorbei, es irgendwann auch einmal zu versuchen.
Laut Chroniken hat »Action« in den 21 Jahren, die nach der Erstbegehung vergangen sind, gerade einmal 16 Begehungen erhalten; wie erklärst du dir das?
-Ich glaube, dass die geringe Anzahl der Begehungen durch den speziellen Style und den extrem schweren ersten Zug zu erklären ist, bei dem man sehr dynamisch aus einem Einfingerloch wegspringen muss.
Vor 20 Jahren war das Frankenjura eines der absoluten Pflichtgebiete für jeden Spitzenkletterer; heute haben sich die Vorlieben eher nach Spanien verlagert; woran kann das liegen?
Daran könnte das manchmal sehr launische fränkische Wetter genauso schuld sein, wie die sehr »solide« Bewertung in der Fränkischen : - )
Welchen Stellenwert hat das Frankenjura für dich persönlich?
Ich habe im Frankenjura meine ersten Felserfahrungen gesammelt und in keinem anderen Klettergebiet so viel Zeit verbracht. Deswegen wird das Frankenjura für mich immer eine ganz besondere Rolle spielen.
Welche Bedeutung hat Wolfgang Güllich, der kurioserweise genau in jenem Jahr starb, als du geboren wurdest, für Dich?
Wolfgang, den ich leider nur aus vielen Erzählung kenne, war und ist immer noch eine grosse Inspiration für viele Kletterer, und sein Tod war ein tragischer Verlust für die gesamte Kletterwelt.
Zitate von Wolfgang Güllich über das Klettern und über andere Dinge des Lebens
Es ist eine schlimme Sache, wenn einem die Träume ausgehen.
Mitten durch die pralle, abweisende Talwand eines freistehenden Turmes die einzig mögliche asketische Linie im momentanen klettertechnischen Grenzbereich emporzuziehen, das muss die Idealisierung des sportlichen Freiklettergedankens sein. (zu »Punks in the Gym«, 32/8b+, 1985)
»Nach dem Koitus ist jedes Lebewesen traurig.« Und so folgen dem Aufbäumen infernalischer Kletterleidenschaft Tage totaler körperlicher und geistiger Erschöpfung. (nach der Erstbegehung von »Punks in the Gym«)
Der Stil ist, wie in allen Sparten des Lebens, das wahre Spiegelbild charakterlicher Qualität, und dieser Stil ist viel untrüglicher und aussagekräftiger als der Ausdruck eines Gesichtes oder irgendeines Wortes.
Nach fünf Tagen vergeblichen Probierens blieb mir nichts als ein sehnsüchtiger Blick hinauf. Meine Grenze zeigt sich als scheinbar unüberwindbare Mauer in den zerrschürften Händen und einer total überforderten Muskulatur. Eine Niederlage bedeutet nicht unbedingt eine Kapitulation. Die Steigerung – noch schwerer, noch höher – hält jeden Sport am Leben und Klettern ist ein Sport wie jeder andere. (1979 nach seinem Scheitern an Phoenix, 5.13a; 1982 gelang ihm die Begehung)
Es gibt Leute, die schwierige Wege klettern, mit denen aber das Zusammensein keinen Spass macht. Das liegt mir nicht so. Und dann gibt es Leute, die V+ klettern und mit denen du Spass haben kannst. Es ist mir egal, ob jemand Ver, VIIIer oder Xer klettert, solange er mit seiner Leistung zufrieden ist.
Man geht nicht nach dem Klettern einen Kaffee trinken, Kaffeetrinken ist Bestandteil des Kletterns.
Sture und verbissene Leute trifft man überall, ob am Fels oder in den Wettkämpfen, da unterscheiden sich die Kletterer nicht vom Rest der Bevölkerung. Vielleicht trifft man sie in den Wettbewerben nur häufiger an.
Das A und O beim Klettern ist die Planung einer Route, wie man eine Route durchsteigt. Man darf nicht einfach drauflos klettern, sondern muss wissen, dass man sich erholen soll und erholen muss. Durch Erfahrung allein nur findet man das Fingerspitzengefühl, wann die Muskeln ausgereizt sind und wann man unbedingt rasten muss. (1983)
Ein ungeheures Glücksgefühl lässt jede Spannung abfallen, und ich habe plötzlich den Eindruck, dass es kein Hazardspiel mit dem Leben war, sondern subjektiv ungefährlich. Ich sitze in der Sonne auf dem flachen Gipfelplateau – die »andere Wirklichkeit« ist Vergangenheit geworden, und der Gedanke an den Tod erst, lehrt uns das Leben schätzen. (1986 nach »Separate Reality« 5.11d/VIII+ 1. Free Solo)