Die Ostwand des Central Tower hat eine neue, freie Route. Much Mayr und Hansjörg Auer haben die gesamte Palette des patagonischen Wetters miterleben und erdulden müssen. Es war hart, kalt, risikoreich, voller Einsatz notwendig, aber schlussendlich haben sie es doch noch geschafft.
Auszug aus dem Tagebuch - 5. und 6. Tag
Für sechs Uhr am Morgen stellen wir den Wecker. Umsonst. Bereits seit einer halben Stunde lässt uns der Lärm des Regens nicht mehr schlafen. Das gibt´s doch nicht. Und wieder warten. Warten auf unsere letzte Chance. Siehe da, gegen halb zehn teilt die Sonne die Wolken. Rein in die nass-kalten Schuhe, Aufbruch. Wir müssen uns beeilen.
Um elf Uhr erreichen wir über die Fixseile unseren gestrigen Umkehrpunkt. Die kommende Seillänge schaut sehr brüchig aus. Much führt. Er verschwindet hinter einem kleinen Pfeiler und dann höre ich einen Schrei. Ein Felsbrocken schlägt direkt vor ihm ein, zerbricht und ein tellergroßer Teil trifft ihn am Oberschenkel. Glück gehabt, nur zwei Risse in der Hose und eine leichte Prellung. Ich komme nach. Ein 80 Meter hohes, leicht überhängendes Off-Width-Risssystem ermöglicht unseren Weiterweg. Ein lautes Sausen und wir sehen wie ein mehrere Kubikmeter-großes Eisgebilde am unteren Standplatz einschlägt. Wir sehen bereits den Col. Doch das Gelände bleibt bis zum Schluss steil. Noch vier Seillängen, darunter eine 7b, die mir im Onsight alles abverlangt. Steile Risse mit dazwischen liegenden Eispilzen. Much führt die letzte Länge. Er kämpft sich bravourös durch die anspruchsvolle, eisgefüllte Verschneidung und verschwindet auf der Westseite. Wir haben´s geschafft. Es ist halb sieben am Abend. Wir genießen den Moment. Der herannahende Schneesturm und der starke Wind können uns nichts mehr anhaben. Die abendliche Stimmung ist gewaltig.
Beim Abseilen im letzten Tageslicht klettert Much noch eine letzte, fehlende 7b-Seillänge rotpunkt. Zurück im Portaledge füllen wir unsere leeren Mägen und spielen bis weit nach Mitternacht Karten. Wir können nicht schlafen. Unsere Gedanken sind wirr, das Erlebte sitzt zu tief.
Die kommenden 24 Stunden verlangen uns nochmals alles ab. Der Wetterumschwung kommt und plötzlich befinden wir uns in der Falllinie eines kleinen Wasserfalls. Stundenlang prasselt das Wassers, das sich hoch oben aus der Wand sammelt auf das Portaledge. Das Abwarten und das Akzeptieren der äußeren Umstände lassen einen Blick nach innen zu. Ein Gleichgültigkeitsgefühl und unglaubliche, rauschähnliche Momente folgen. Am späten Nachmittag sind wir uns einig, dass wir hier so schnell wie möglich verschwinden müssen. Das Portaledge steht regelrecht unter Wasser. Im Wasserfall packen wir die Haulbags, bauen das Portaledge ab und machen uns für die Abseilaktion bereit. Endlich erreichen wir den Gletscher. Mehr ziehend als tragend bringen wir unsere Lasten zurück ins Hochlager. Wir sind müde, leer und ausgelaugt. Am nächsten Tag schon wieder Schneefall. Wir steigen weiter ab, legen jede Teilstrecke doppelt zurück und sind froh, als uns Hannes schlussendlich entgegen kommt. Er war in Sorge, verbrachte die letzten Tage in El Chalten und als er zurückkam, wusste niemand wo wir sind. Alle dachten wir wären in Puerto Natales.
Warum ausgerechnet Central Tower? Und die Linie? wo liegt die Tour?
Unser Plan war eine neue Route an der Ostwand im rechten Wandteil zu klettern. Wir hatten eigentlich das Risssystem rechts von der Linie „Una Fina Linea de Locura, (6b A3, Jänner 1993) ins Auge gefasst. Aus der Nähe betrachtet waren die Risse wesentlich geschlossener als wir angenommen hatten. So haben wir uns für die Linie im äußerst rechten Wandteil entschieden. Der Vorteil war, dass wir trotz der schlechten Verhältnisse zu Beginn in Form von Mixed-Kletterei etwas Höhe gewinnen konnten.
Eines der intensivsten Erlebnisse bisher... weswegen?
Nach fünf Tagen in der Wand überraschte uns in der Nacht zum sechsten Tag der komplette Wintereinbruch. Unser Portaledge steht plötzlich in der Falllinie eines kleinen Wasserfalls. Zuerst der stundenlange Lärm des Wassers, das Zusammenpacken in der eisigen Dusche, völlig durchnässt. Dann Abseilen, Stände einrichten und zurück zum Highcamp.
Schlüsselmoment in der Route?
Jener Zeitpunkt, als wir merkten, dass wir mit einem finalen Push den Ausstieg erreichen können.
Patagonien - wie erwartet?
Im Vorhinein erwartet man sich, dass man innerhalb von einem Monat zumindest einmal ein paar gute Tage hat. Die Verhältnisse waren aber von Mitte Dezember bis Mitte Jänner durchwegs sehr schlecht. Es war kalt und windig mit viel Schnee und Eis in der Ostwand. Für uns beide war es eine neue Erfahrung in solchen Bedingungen zu klettern.
Warum nicht länger geblieben?
Klar, kann es sein, dass man abreist, und eine Woche später kommt das Wetterfenster. Aber es kann genauso umgekehrt sein. Man bleibt länger und das schlechte Wetter bleibt auch. Am besten ist es, sich ein Monat Zeit zu nehmen in der Hoffnung, dass man ein paar schöne Tage antrifft. Zudem zehrt das lange Warten in dieser Gegend an der Motivation.
Was sind die Stärken und Schwächen von der Seilschaft Auer - Mayr?
Wir ergänzen uns nicht nur, sondern wir stärken uns gegenseitig, indem wir unterschiedliche Eigenschaften mitbringen. Eine ideale Symbiose. Hansjörg der junge Wilde mit grenzenloser Motivation und Much der etwas ältere, realistische, erfahrene Stratege... Eine gemeinsame Stärke, die sehr schnell zur Schwäche werden kann, ist sicherlich eine hohe Risikotoleranz.
Könnt ihr auch aufgeben?
Bei mir ist es so, dass ich es tatsächlich erfahren, spüren muss, dass ein Weiterklettern wirklich keinen Sinn macht. Much ist in dieser Sache eher gelassen.
Routeninfo “Waiting for Godot”;
Berg: Central Tower/Torres del Paine:
Erstbegehung: Hansjörg Auer, Much Mayr 01/2010
Routenlänge u. Schwierigkeit: 750 hm; 7b/M6;
Absicherung: 4 Zwischenbohrhaken, 3 Normalhaken, Stände im oberen Teil mit Bolts, Klemmkeilen, Cams bis #6;
Sponsoren von Hansjörg Auer
Vaude
Edelrid
La Sportiva
Bergshop.com
Ötztal