Schwierigkeiten von 7, A4, M6 hören sich schon mal ziemlich spannend an, noch dazu in der 1800 Meter hohen Nordwand des Eiger. Hinter diesen Fakten verbirgt sich ein geheimnisvoller Name:
„Metanioa“, aus dem Griechischen, was nicht weniger bedeutet als „Buße“ oder „Innere Umkehr und neue Weltsicht.“ Das verspricht ein forderndes Abenteuer!
Im Februar 1991 stieg Jeff Lowe, der amerikanische Ausnahmebergsteiger, alleine in die verschneite Nordwand des Eiger. Sein Ziel: eine direkte, bisher noch nicht gekletterte Linie bis zum Gipfel! Sein Leben war zu dieser Zeit sehr turbulent, finanziell stand er am Abgrund und viele seiner Freunde sahen in seinem Tun sogar selbstmörderische Absichten. Wenn die Wirklichkeit seines Lebens damals auch wahrlich nicht erfolgreich war, so funktionierte Jeff in der steilen eisigen Welt der Eigernordwand perfekt. Alleine trotzte er den Stürmen, kletterte über verschneite Felsplatten, bewältigte Passagen in technischer Kletterei bis A4, oft weit weg von einer guten Sicherung. Es war kein „Grenzgang“, wie wir Bergsteiger ein Abenteuer dieser Art gerne beschreiben. Er war in einer anderen Welt, jenseits der üblichen Realität, wo nur die ureigenen Instinkte und die Intuition dich überleben lassen. Lediglich die Liebe zu seiner Tochter war die einzige Verbindung in die „normale“ Welt.
Nach 9 Tagen erreichte er den Ausstieg. Kurz vor einem erneuten Sturm holten seine Freunde ihn mit dem Hubschrauber zurück ins Leben. Er nannte sein neun-tägiges Vakuum „Metanoia.“ Sein Leben hatte eine neue Perspektive. Er meisterte danach alle Herausforderungen mit der Einstellung, mit Raffinesse und Feingespür hart an sich zu arbeiten und dabei zugleich Spaß zu haben.
Diese Geschichte hat mich inspiriert und mich neugierig gemacht. Es gibt nur eine ungenaue Routenbeschreibung. Keiner weiß wirklich, wo die Route genau verläuft oder wie schwer sie ist. Die Route wurde zwar einige Male versucht aber bis heute nicht wiederholt. Dazu kommt noch dieser geheimnisvolle Name. Es hört sich ja fast so an wie das Tor zu einer neuen Erkenntnis!
Stephan Siegrist, der schon über 30mal in der Eigerwand war, ließ sich sofort für diese Geschichte begeistern. Er brachte Roger Schäli ins Spiel, der schon zweimal an der benachbarten Japanischen Direttissima unterwegs war. Ich bekam von Jeff noch wertvolle Informationen über die Routenführung und dann stand dem Unternehmen „Metanoia“ nichts mehr im Weg.
Jetzt oder nie!
Eine Woche vor Weihnachten fuhr ich bei perfektem Wetter in die Schweiz. Jetzt oder nie! Wir stiegen im Stirnlampenlicht seilfrei über den Vorbau der Eigernordwand und querten unter dem schwierigen Riss, der erste Schlüsselstelle der Heckmair-Route, nach links bis zum Toni Kurz- Überhang. Es ein beklemmendes Gefühl unter dem Überhang zu stehen, wo vor genau 80 Jahren der Berchtesgadener Bergsteiger Toni Kurz vor seinen Rettern im Seil hängend mit den Worten „Ich kann nicht mehr“ verstarb.
Es wurde hell, alles war ruhig, es war gut. Mit stillen Gedanken aus der Heimat querte ich weiter nach links zum Einstieg von Jeffs „Metanoia“. Steff machte sich fertig für den Vorstieg. Es war kalt, windstill, perfektes Wetter! Roger sicherte, ich frierte und Steff arbeitete sich über besten Fels die erste Seillängen hinauf. Eine alte eingeknüpfte Reepschnur erleichterte den Aufstieg über den kompaktesten Teil. Wir kamen zwar schneller vorwärts als gedacht, aber dieses Hilfsseil nahm uns ein bisschen das Abenteuer. Soweit wie möglich schnitten wir mit dem Messer alles raus! Wir kreuzten den Hinterstoisser-Quergang. Roger beschäftigte sich zwei Stunden mit Birdbeaks, Hookmoves und Spinndrift, und das für 35 Meter. Spätestens jetzt wurde uns bewusst, dass Jeff damals alles gegeben haben muss! Die Tage sind kurz und in der Dämmerung erreichten wir das Ende des zweiten Eisfelds. Nach einer Stunde hatten wir ein gutes Biwak aus dem Eis gehackt und freuten uns auf eine warme Suppe. Roger und Steff, die schon so oft in der Wand waren und dort zahllose Biwaks hinter sich gebracht hatten, erzählten sich Witze, lachten und fühlten sich wohl. Ich hingegen war immer noch ein wenig angespannt. Immerhin sind wir in „der Wand,“ am Eiger. Vor genau 20 Jahren war auch ich dort im Winter unterwegs mit meinem Bruder Alexander und Berchtesgadener Freunden. Wir brauchten volle drei Tage bei sehr winterlichen Verhältnissen auf der klassischen Heckmair! Heute hatten wir weit bessere Verhältnisse, nahezu perfekt. Dafür sind wir aber an einer der schwierigsten Routen am Eiger unterwegs, an einer Direttissima, auf der Metanoia. Schemenhaft erahnte ich die über uns ausbauchende Gipfelwand. Sie sah bedrohlich aus, schwierig und verrückt. Hin und wieder versuchte ich zwar über diese Witze auf Schwyzerdütsch zu lachen, aber ich war zu sehr in Jeffs Geschichte versunken. Mit unseren Schlafsäcken war das Biwak erträglich: „A guada hoits aus und jammert net,“ aber wirklich schlafen konnte keiner von uns. Metanoia beschäftigte uns alle in unseren Wachträumen! Vielleicht war auch der schweizer Humoranfall am Abend eine Art Stressbewältigung in Anbetracht von all dem, was uns noch bevor stand.
Bildergalerie Metanoia Thomas Huber, Roger Schäli und Stephan Siegrist
Um 5 Uhr früh dann raus aus dem Schlafsack, rein in die kalte Nacht, der Gaskocher surrte und schmolz den Schnee. Halb 6 endlich ein warmer Kaffee, ein Müsliriegel und dann los. Im Zickzack kletterten wir über kombinierte Passagen und kleine Eisfelder zum ersten großen Wandriegel. Ich sortierte einen doppelten Satz Cams, Stopper, Haken, Beaks am Klettergurt und war bereit für Metanoia! Vier Stunden brauchte ich für vier Seillängen und sie hatten alles, was Klettern zu bieten hat: Momente, wo stürzen nicht angesagt ist oder zumindest sehr unangenehm wäre, Seilzugquergänge, technische Passagen, Runouts im brüchigen Fels über zweifelhafte Zwischensicherungen und komplizierte Standplätze in fragwürdigen Fels. Das Gelände über uns legte sich ein wenig zurück. Ich war froh, dass alles gut gegangen ist, bin aber mental richtig ausgepowert! Steff übernahm sofort die Führung. Es wäre gut, wenn wir heute noch das Zentralband erreichen würden, die beste Möglichkeit einen guten Biwakplatz zu finden. Jetzt erkannten wir unser Potential, das Team funktionierte perfekt, jeder ersetzte jeden und mit der Eiger-Erfahrung von Steff und Roger hatten wir die optimalen Voraussetzungen! Alles das, was Jeff nicht hatte! Er war alleine, konnte sich nur auf sich selbst verlassen und war zuvor noch nie in der Wand gewesen. Nach jeder harten Passage, die hinter mir lag, versetzte ich mich in seine Lage. Sein Kampf lief wie ein Film vor meinen Augen ab: Es ist im Prinzip Wahnsinn, was er damals geleistet hat!
Zentralband
Steff kletterte über steiles Eis und schwarzbrüchigen Fels auf das Zentralband und schon wieder funkelten über uns die Sterne. Die Tage sind kurz, verdammt kurz! Es war fünf Uhr, stockdunkel und der Name "Zentralband" versprach nicht das, was er vorgibt zu sein. Klein, abschüssig und kein Ort, wo wir zu Dritt biwakieren könnten. Roger querte horizontal 70 Meter nach links auf eine Kanzel. Endlich ein guter Platz für unser nächtliches Lager. Als wir dann bei ihm waren, ist es bereits sieben Uhr und es hat unerwartet leicht zu schneien begonnen. Es war jetzt gut hier zu sein, ein spektakulärer Biwakplatz! Über uns schützte uns ein mächtiger Überhang vor Steinschlag und Spindrift, unter uns brach die Wand überhängend ab. Eine Oase in der wilden Welt des Eiger, unser Adlerhorst. Wir kochten, aßen, aber die Witze blieben heute verhalten. Wir bekamen von Charly noch einen aktuellen Wetterbericht. Der sagte uns stürmische Zeiten voraus. Der Schneefall sollte nicht das Problem sein. Der klingt in der Nacht ab. Aber der Wind sollte am nächsten Tag auf Süd drehen. Das bedeutete Föhn, und das mit bis zu 60, 70 Stundenkilometern. Steff meinte, dass wir dann keine Chance hätten. Der Spindrift würde ein Klettern in der Gipfelzone unmöglich machen und der vom Wind ausgelöste Steinschlag war wieder eine ganz andere Geschichte! Mit dieser gedämpften Stimmung kuschelten wir uns in unsere Schlafsäcke.