Im Moment ist er ja in aller Munde, Denis Urubko. Denn so etwas wie die K2 Expedition der Polen, an der Urubko teilnahm, hat die alpine Welt schon länger nicht gesehen. Dass es bei Expeditionen oft zu Streitigkeiten kommt, ist allerseits bekannt. Aber dass ein Teilnehmer andere Teilnehmer und gar die Expeditionsleitung noch während der eigentlichen Expedition öffentlich in den Sozialen Medien kritisiert, das ist etwas durchaus Neues. Denis Urubko hat eine nach seinen Überzeugungen „wahre Winterbegehung“ probiert, ist gescheitert und ist jetzt am Weg nach Italien, wo ihn Freunde wohlwollend empfangen werden. Was wirklich passiert ist bei dieser an Kuriositäten fast nicht zu übertreffenden Expedition, wird uns Urubko hoffentlich selber erzählen, wenn er wieder Internetanschluss hat und dazu bereit ist.
Aber wer ist dieser Denis Urubko wirklich, über den es im Moment so viele Kontroversen gibt?
Anfangsjahre
Geboren wurde Denis Urubko 1973 in Newinnomyssk, Russland. In der kleinen südrussischen Stadt lernte Denis die ersten Grundlagen fürs Bergsteigen von seinem Vater. Er sagt selbst, dass er sich als Kind klein und schwach fühlte, aber in den Bergen, auf den Gipfeln, da empfand er Freiheit. Er sei sich fast vorgekommen wie ein „kleiner König“. Als er dann noch in einer Bibliothek zwei Bücher, eines über Messners Alleingang am Nanga Parbat und eines über die Besteigung des Dhaulagiri der Kasachen auf einer neuen Route entdeckte, war es um ihn geschehen. Er ging nach Abschluss der Pflichtschule allein nach Wladiwostok und schrieb sich im dortigen Alpenclub ein. Ab diesem Zeitpunkt begann Urubko systematisch für das Bergsteigen zu trainieren. Ansonsten hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Dort im Alpenclub von Wladiwostok verbrachte Urubko wohl wichtige Lernjahre, die den Grundstein für seine späteren Ausnahmebesteigungen sein sollten. In den Sommermonaten zog er nach Pamir und dort gelangen ihm seine ersten Solobesteigungen.
Kasachstan
Als er 1992 den Cheftrainer des kasachischen Militärsport-Teams Ervand Iljinskij durch Zufall kennenlernte und ihn dieser einlud Teil des Teams zu werden um alle 14 Achttausender zu besteigen, sparte er alles Geld zusammen, das er hatte und zog 1993 allein, ohne Job und als Russe nach Almaty, hoffend, dass sich aus der Einladung Iljinskijs eine konkrete Möglichkeit für ihn in der kasachischen Armee ergeben würde. Eine schwierige Angelegenheit für einen Russen ohne kasachischen Pass. Das erste Jahr in Almaty war hart für Urubko: Er schlief auf der Straße und ernährte sich von Abfällen. Er selbst beschreibt es als eine „schreckliche Zeit“, die ihn und seinen Willen aber stark prägte. In Russland galt er mittlerweile als Deserteur, weil er sich der Einberufung in den russischen Militärdienst entzog. Seine Chance witternd blieb Urubko aber weiterhin hartnäckig in Almaty. Im Sommer 1993 war Urubko das erste Mal Teil einer kasachisch militärischen Expedition und bestieg dabei zwei Mal den Khan Tengri. Am Ende des Jahres 1993 war es endlich so weit: Urubko erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung und trat in die kasachische Armee ein. Endlich wurde seine Beharrlichkeit belohnt und er konnte nun das machen, was er sich immer erträumt hatte, nämlich Bergsteigen.
Schneeleoparden Projekt
Als 1997 Simone Moros Seilpartner Anatoly Boukreev und Dmitry Sobolev während einer Winterbesteigung der Annapurna in einer Lawine starben, wollte Moro ein von Boukreev angedachtes Projekt nach dessen Tod unbedingt zu Ende führen: das sogenannte Schneeleoparden Projekt. Dieses Programm, das von der ehemaligen Sowjetunion entwickelt wurde, sieht die Besteigung aller fünf in der ehemaligen UDSSR liegenden 7000er vor. Diejenigen, die es schaffen auf allen Gipfeln zu stehen, dürfen sich „Schneeleoparden“ nennen. Moro wollte diese fünf 7000er innerhalb von wenigen Wochen und in einer einzigen Expedition besteigen. Boukreev war wie Urubko Mitglied des kasachisch militärischen Sportcorps und so suchte Moro gemeinsam mit Mario Curnis zwei Expeditionspartner in dieser Einheit. Urubko und Andrej Molotov wurden nach internen Ausscheidungen dazu auserkoren, sich am Projekt zu beteiligen. In nur 39 Tagen schafften Urubko und Molotov die Besteigung aller fünf 7000er und wurden so zu „Schneeleoparden“, während Moro und Curnis aus gesundheitlichen Gründen nur 3 bzw. 4 der Berge besteigen konnten.
Internationale Karriere als Bergsteiger
Die Begegnung mit Simone Moro katapultierte Urubko in eine völlig andere Liga des Bergsteigens. Moro, der damals schon ein bekannter internationaler Bergsteiger war, nahm Urubko fortan als seinen Seilpartner mit auf Expedition. Er setzte sich für ihn ein und ermöglichte ihm das Leben eines Bergsteigers auf internationalem Niveau. So z.B. beschaffte Moro nicht nur Sponsoren für die jeweiligen Projekte der beiden, sondern auch persönliche Sponsoren für Urubko, damit dieser vom Bergsteigen leben konnte. Im Jahr 2000 standen Moro und Urubko gemeinsam am Everest, ein Jahr später erreichte Urubko den Lhotse. Noch immer war er Teil des kasachisch militärischen Sportcorps und das alte Projekt alle 8000er durch Mitglieder der kasachischen Armee zu besteigen war immer noch aktuell. So stand Urubko im Jahr 2001 nicht nur am Lhotse, sondern auch am G1 und am G2. Während der G2 Expedition schaffte Urubko das erste Mal eine Speedbegehung im Alleingang. Er wusste dann und dort, dass es genau das war, was ihm am besten gefiel. Nach einer weiteren Expedition ihm Rahmen des kasachisch militärischen Sportcorps zum Broad Peak im Jahr 2003, der nur die Besteigung auf der Normalroute vorsah, kündigte Urubko seine Stellung in der kasachischen Armee. Er wollte sich fortan, sehr oft gemeinsam mit Simone Moro, auf Alpinstil-Besteigungen von 8000ern auf neuen Routen konzentrieren. Dies wurde so zu sagen zu seinem alpinistischen Regelwerk, das er, so schien es, eisern einhalten wollte.
Am 11. Mai 2009 stand Denis Urubko ganz oben am Cho Oyu, dem letzten der 14 Achttausender, die er alle ohne zusätzlichen Sauerstoff bestiegen hatte. Er wurde somit zum 15. Bergsteiger, welcher alle 8000er bestiegen hatte und zum 8., dem dies ohne zusätzlichen Sauerstoff gelang. Für die Besteigung des Cho Oyu gemeinsam mit Boris Dedeshko auf einer neuen und sehr schweren Route an der Südostseite des Berges, bekam Urubko 2010 den Piolet d’Or.
Schon während den Anfangsjahren mit Moro begann Urubko Winterbesteigungen zu machen. Bereits 2001 bestiegen Urubko und Moro die 6400m hohe Marble Wall im Tian Shan im Winter: im Alpinstil und ohne vorherige Akklimatisierung. Es folgten 2009 die erste Winterbegehung des Makalu und 2011 des Gasherbrum 2 – immer gemeinsam mit Simone Moro.
2012 versuchten sich Moro und Urubko gemeinsam an einer Winterbesteigung des Nanga Parbat, scheiterten aber aufgrund ungünstiger Wetterprognosen.
Danach sollten Moro und Urubko nie wieder eine gemeinsame Expedition unternehmen. Offenbar war es zu Streitereien zwischen den Freunden gekommen. Simone Moro schreibt dazu in seinem 2017 erschienen Buch „Devo perché posso“, dass er von Urubko sehr enttäuscht wurde. Er (Moro) habe Urubko aus der Anonymität heraus und ins internationale Bergsteigen geführt, habe ihn unterstützt, beruflich wie auch privat, aber laut Moro wurde Urubko von „neuen Freundschaften“ beeinflusst, die Moro negativ gegenüberstanden und Urubko einredeten, dass Moro ihn finanziell über den Tisch gezogen hätte. Ein unwürdiges Ende einer starken, vielleicht sogar der stärksten Seilschaft!
Everest
2013 versuchte Urubko den Everest auf einer neuen Route durch die SW-Wand zu durchsteigen. Während der Zeit im Basislager kam dabei sein Seilpartner Alexei Bolotov bei einem Seilriss ums Leben. Ab 2014 kletterte Urubko mit polnischen Seilpartnern, erstmals mit dem jungen leistungsstarken Adam Bielecki. Sie versuchten gemeinsam eine neue Route am Nanga Parbat im Jahr 2014 und planten für den kommenden Winter eine Winterbesteigung des K2. Dieser Berg hat eine lange Geschichte, die bis 19987/88 zurückreicht, von erfolglosen Versuchen, hauptsächlich von polnischen und russischen Teams, ihn im Winter zu besteigen. 2014/15 wurde der polnischen Expedition das Permit verweigert und 2016/2017 konnten die Polen die nötigen finanziellen Mittel nicht aufbringen. 2017/2018 gelang schließlich eine Winterexpedition zum K2 mit einer Finanzspritze des polnischen Ministeriums für Sport. Urubko, der seit 2015 die polnische Staatsbürgerschaft besitzt, war Teil dieser Expedition. Sein so eben gescheiterter Alleingang ist im Moment in aller Munde.
Der begnadete Selbstdarsteller
Urubko lernte durch Simone Moro schnell, dass, um vom Bergsteigen leben zu können, auch eine gewisse Vermarktungsstrategie dazu gehört. Er fing an Bücher zu schreiben, die sogar ins Italienische übersetzt wurden. Er begann auch einen Blog zu schreiben (leider nur auf Russisch), in dem er nicht mit so manch provokanten Meldungen und Fotos geizt. So kletterte er z.B. als PR Aktion auf einen Felszapfen im Hotel Domine in Bilbao und stellte das Video auf seinen Blog. Während der heurigen K2 Expedition kritisierte er in seinem Blog öffentlich nicht nur seine Teamkollegen, sondern ganz besonders den Expeditionsleiter Krzysztof Wielicki und dessen Besteigungsstrategie. Eine Provokation und eine öffentliche Bloßstellung, die das Team veranlasste, Urubko nicht mehr ins Kommunikationszelt zu lassen.
In seinen Interviews bezeichnet Urubko sich gerne als Künstler. Er wollte ja ursprünglich Schauspieler werden und so hat er einen gewissen Hang zum Theatralischen. Für ihn sind seine Begehungen „Kunst“. Man bedenke, der Letzte, der sich in dieser Hinsicht als Künstler bezeichnete, war Dean Potter – und welches jähe Ende dieser nahm, ist allerseits bekannt.
Urubko CAMP
In einem Videobericht aus dem Jahre 2016 für seinen Sponsor CAMP erklärte Urubko, dass er wohl nur mehr ca. 3 -5 Jahre Begehungen an 8000ern machen könne. Er werde älter und seine Leistungsfähigkeit ließe nach. Er wolle sich danach aufs Felsklettern und auf technische Besteigungen konzentrieren. Außerdem sei ihm sein „Urubko Camp“ ein großes Anliegen. Dieses kostenlose und unabhängige Programm soll als Ausbildung einer neuen Generation von jungen europäischen Alpinisten dienen. Urubko verbringt v.a. in den Sommermonaten viel Zeit seine Erfahrungen im Rahmen des Urubko Camps weiterzugeben.
Urubkos selbst auferlegte Regeln
Urubko ist jemand, der an Regeln und Disziplin glaubt – etwas was v.a. der sowjetischen Tradition im Bergsteigen entspricht. Ob er nun einen kasachischen oder polnischen Pass besitzt, tut nichts zur Sache, denn ein Pass ist nur ein Stück Papier. Urubko bleibt Russe und ist in dieser Traditionen stark verwurzelt. Umso mehr ist es verwunderlich, dass Urubko selbst seine Regeln für die Winterbesteigung des K2 über den Kopf geworfen hat. Neue Route, Alpinstil, kleines Team - Urubkos selbst auferlegte Regeln. Keine davon traf auf die K2 Expedition zu! Mit einem riesen Tross an Bergsteigern, Trägern, Fixseilen etc. ist die jetzige K2 Expedition eigentlich „Old Style“, so wie man früher Expeditionen durchgeführt hat. Eine Stallorder und eine genaue Rangordnung scheint es wohl auch zu geben. Als Urubko am 12. Februar alleine aufgebrochen war um bei schlechtem Wetter den Zustand der Fixseile des Abbruzzensporns zu begutachten und dies gleichzeitig als Akklimatisierung bis hinauf ins Camp 3 nutzen wollte, wurde er von Expeditionsleiter Wielicki ins Basislager zurückbeordert. Urubko gehorchte und bezeichnete sich selbst als „gehorsamen Soldaten“. Im Angesicht der darauffolgenden Ereignisse, wohl eine weitere provokant ironische Meldung. Dass er danach im Alleingang den Gipfel aufgrund der widrigen Wetterverhältnisse nicht erreichte, nachdem er sich einfach ohne Funk und GPS aus dem Basislager davongeschlichen hatte, gehört wohl auch zu seiner Art Selbstdarstellung. Denn auf einmal erinnerte sich Urubko wieder an seine Regeln, von denen eine besagt, dass einer Winterbesteigung nur von 1. Dezember bis 28. Februar gilt. Nach Abbruch des Versuchs, verließ er das Basecamp und wünschte seinen ehemaligen Teamkollegen „noch einen schönen Frühling“.
Was nun wirklich am K2 geschah, wird uns Denis Urubko wohl hoffentlich bald selbst erzählen. Wir sind gespannt, denn man kann über ihn denken was man möchte, aber er ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten des internationalen Bergsteigens, die es zur Zeit gibt!
Text: Lisa-Maria Laserer